Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
mir erzählt haben. Doch wenn wir jetzt Vermutungen über Sie anstellen, greifen wir der Sache vor. Denn nach allem, was ich im Augenblick weiß, könnte die Idee Ihrer Männlichkeit auch eine Täuschung sein, oder Sie könnten lügen. Ich weiß noch nichts.«
»Ich habe in einem Punkt gelogen.«
»Ja?«
»Übers Kricket. Ich kenne doch die wichtigsten Regeln. Mein Adoptivvater, Edward Harker, stellt Kricketschläger her und hat mir die Spielregeln beigebracht. Ich habe in seinem Hof Werfen geübt.«
»Ach ja? Was haben Sie denn geworfen, Drehbälle oder Springbälle?«
»Drehbälle«, sagte ich. »Ich warf Drehbälle, und schon als ich zwölf war, stand mir Edward nicht gern an der Aufstellungslinie gegenüber.«
Soweit ich feststellen konnte, war es nicht möglich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln bis Twickenham zu fahren. Die Endstation der U-Bahn lag davor, und ich sah nie einen Bus vorbeikommen. Ich hatte von Earl’s Court nach Richmond die U-Bahn genommen und war von da aus gelaufen, mit der Karte in der Hand, wie ein Tourist.
Als ich Dr. Beales’ Praxis verließ, entschloß ich mich, auf dem alten Schleppweg am Fluß, wo die Pferde früher einmal auf- und abgegangen waren, zurückzulaufen. Ich fühlte mich selbst wie ein Schleppgaul; ich schleppte den Gedanken mit mir herum, daß mich ein Chirurg in Martin verwandeln konnte. Merkwürdigerweise hatte ich mein Leben lang geglaubt, daß dies eines Tages geschehen würde. Ich hatte daran geglaubt, ohne zu wissen, wie es realisiert werden könnte. Und jetzt wußte ich, wie es realisiert werden konnte, und nun fiel es mir schwer, daran zu glauben. So ist es wohl mit dem Menschen. Er findet es manchmal leichter, an seinen Traum von etwas zu glauben als an dieses Etwas selbst.
Hinzu kam Angst. Ich fragte mich, ob Mary ganz verschwinden würde. Wollte ich denn, daß sie ganz verschwand, oder sollte sie nur teilweise verschwinden? Gab es etwas an Mary, das ich retten sollte?
Als ich zu einer kleinen Treppe kam, die in den Spülwasserfluß führte, setzte ich mich auf eine ihrer Stufen und beobachtete die vorüberfahrenden Schiffe. Ganz in der Nähe lag ein altes Hausboot, an dem Traktorreifen als Fender aufgehängt waren und an dessen Eisenmast der Union Jack wehte. Zwischen Schiff und Ufer war ein mit Maschendraht eingezäuntes Stück. Dort zogen ein paar Entenfamilien ihre Kreise. Von ihrem Teich führten Entenleitern zum verfallenen Bootsdeckhinauf. Es schien niemand auf dem Schiff zu sein, und ich überlegte, ob diese patriotischen Enten wohl die einzigen Bewohner waren. Wir glauben immer, ein Mensch müsse da sein, als Zentrum von allem, und manchmal irren wir uns da eben.
Die Sonne kam heraus, und über das Wasser lief unerwartet ein Funkeln. Ich hätte nicht sagen können, wo genau ich mich befand. Möglicherweise in der Nähe von Ham. Ich umschlang die Knie mit den Armen. Das Leuchten, das jetzt über allem lag, erweckte in mir Gedanken an die Liebe. Ich überlegte, ob beispielsweise Pearl mich noch mögen würde, wenn es Mary nicht mehr gab.
Die Kummerparty
Edward Harker erhielt einen Brief von Mary mit dem Vermerk »Vertraulich«. Irene erkannte Marys Handschrift auf dem Umschlag und fragte: »Ist sie in Schwierigkeiten, Edward? Ist es das?«
Edward ging mit dem Brief in den Keller und las ihn dort im Schein der Lampen mit den Pergamentschirmen. Er wurde darin gebeten, nach London zu kommen und mit Dr. Beales zu sprechen. Außerdem wurde er gebeten, sich als Marys Adoptivvater auszugeben.
»Nun?« fragte Irene, als er wieder nach oben kam.
»Was, nun?« fragte er starrköpfig zurück.
»Was ist mit ihr passiert, Edward? Ich habe ein Recht darauf, es zu wissen. Ich habe dieses Mädchen aufgenommen, als es noch klein war. Ich war damals wie eine Mutter zu ihm.«
»Ich begehe keinen Vertrauensbruch.«
Später beim Abendessen fragte Pearl: »Ist Mary wirklich in Schwierigkeiten, Edward?«
Er sah sie und Irene an, blickte in ihre lieben Gesichter. Er wünschte, ihnen würde nie etwas Böses geschehen.
Dann antwortete er freundlich: »Mary hat mich gebeten,ihr zu helfen, ein paar Veränderungen in ihrem Leben vorzunehmen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Sie ist nicht ›in Schwierigkeiten‹, wie du es nennst, Pearl. Sie versucht nur, das Beste aus ihrem Leben zu machen.«
In der darauffolgenden Nacht träumte Irene von Mary an jenem heißen Tag mit dem Baby-Schönheitswettbewerb; sie träumte von der Smokarbeit und den Blutsperlen. Als sie
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