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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Woman’s Domain , wo sie für den Kummerkasten verantwortlich war. Sie schrieb unter dem Pseudonym D’Esté Defoe und hielt es für einen wundervollen Namen, für wesentlich besser als Georgia Dickins. Ihren Leserinnen gefiel er auch, besonders all jenen, die sich vergeblich ein Kind wünschten. Sie schrieben manchmal, als eine Art Fußnote zu ihrem Problem: »Ich sage immer – in der Hoffnung, daß Sie nichts dagegen haben –, daß ich, sollte mir Gott je ein süßes Töchterchen schenken, dieses auf den Namen D’Esté taufen würde.«
    Ich selbst fand diesen Namen lächerlich. Er klang, als wäre er von etwas abgeleitet, wie eine Kurzform von Desaster beispielsweise. Doch das behielt ich für mich. Ich mußte sowieso schon genug Verletzendes sagen, wie etwa: »Ich weiß nicht, ob ich dich liebe, Georgia. Ich wünschte mir, daß das, was ich empfinde, Liebe ist, glaube es aber nicht.«
    Manchmal weinte sie dann, und von ihren Mascaratränen wurde ihr Gesicht streifig. Und wenn sie sich anschließend im Spiegel sah, klagte sie: »Mein Gott, ich bin ein Wrack. Ich sehe wie ein Dachs aus. Kein Wunder, verdammt noch mal, daß mich niemand liebt.«
    Sie brachte mir das Fluchen und das Trinken von Camparibei. Sie zeigte mir den St. James’s Park und das Kaufhaus Heal. Georgia wollte, daß ich meine Brüste liebte. Sie bot mir an, zu ihr nach Notting Hill Gate zu ziehen, doch ich lehnte das ab. Ich mochte inzwischen mein Haus und mein graues Zimmer und wollte nicht woanders, neben Georgia, in einem Bett von Heal, aufwachen.
    Sie war stolz auf ihren Kummerkasten. Sie sagte: »D’Esté Defoe ist eine Frau mit Einfühlungsvermögen. Ihre Leserinnen vertrauen ihr. Und sie ist ein Profi. Sie wird von einem Team von Ärzten und Psychiatern beraten. Sie bietet echte Lösungen an.« So sprach sie, diese Georgia. Als machte sie ständig für etwas Reklame. Sie erzählte mir auch, daß ihre Wohnung günstig gelegen und London der Nabel der Welt sei.
    Mein einundzwanzigster Geburtstag rückte näher, und ich war immer noch sehr klein. Wie früher hängte ich mich manchmal an den Türsturz. Ich wollte wenigstens einssechzig werden. Nach wie vor hielt ich nichts für unmöglich, auch nicht, daß ich noch wuchs. Und nun sah ich, daß es an der Zeit war zu handeln. Mir fiel ein, wie Cord gesagt hatte: »Wenn man nichts unternimmt, Martin, bleibt alles beim alten, ist es nicht so?« Er hatte das gesagt, als wir zusammen auf dem Kaminvorleger saßen und Papierketten bastelten. Wir waren da beide betrunken gewesen. Im Rausch Gesagtes bleibt einem manchmal in Erinnerung, weil es unerwartet weise ist. Ich schrieb an den Kummerkasten. Alle Briefe mußten mit »Liebe D’Esté Defoe« beginnen. Ich fertigte mehrere Entwürfe meines Briefs an und tippte ihn dann im Büro der Liberty in einer Ablehnungsflaute. Er lautete:
    Liebe D’Esté Defoe,
    es ist möglich, daß Sie dieser Brief schockieren wird. Soweit ich es beurteilen kann, bin ich die einzige Ihrer Leserinnen mit diesem Problem.
    Ich bin eine Frau von einundzwanzig. Das heißt, ich habe den Körper einer Frau, habe mich aber nie als Frau gefühlt oder mit dem Betrug meines Körpes abgefunden. Ich bin der Meinung – und das schon von klein auf –, daß ich männlichen Geschlechts bin. Das steht für mich unverrückbar fest. Ich bin im falschen Geschlecht.
    Ich ziehe mich wie ein Mann an. Ich verabscheue meine Brüste und alles, was weiblich an mir ist. Noch nie habe ich mich sexuell zu einem Mann hingezogen gefühlt. Ich träume nicht einmal von Sean Connery.
    Bitte helfen Sie mir. Bitte sagen Sie mir, ob irgend jemand sonst schon so empfunden hat. Bitte sagen Sie mir, ob es je möglich sein wird, meinen Körper so zu ändern, daß er mit meinem Denken und Fühlen übereinstimmt. Vom sechsten Lebensjahr an habe ich sehr viel gelitten und möchte jetzt endlich etwas unternehmen. Ich habe keine Freunde, denen ich mich anvertrauen kann.
    Ich unterschrieb mit »Divided, Devon«. Ich dachte, D’Esté Defoe würde sich von dem Buchstaben D angezogen fühlen. Ich glaubte zwar nicht an Georgia, setzte meine Hoffnung aber auf das Ärzte- und Ratgeberteam, von dem sie gesprochen hatte.
    Den nächsten Abend verbrachte ich in Georgias günstig gelegener Wohnung. Sie zeigte mir eine neue Grapefruitart mit rosafarbenem Fruchtfleisch, die sie entdeckt hatte. Sie liebte alles Neue. Als sie die rosa Grapefruit durchschnitt, um mir die Hälfte zu geben, sagte sie: »D’Esté hat heute einen

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