Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
stellte mir vor, wie Shrimps und Wasserschlangen dort zu leben versuchten, vom Abwasser überschwemmt wurden und gleich Federn oder Schnur an die Oberfläche stiegen. Ich sagte, daß ich nie einen Staubsauger besessen habe. Und ich sagte, daß ich der Meinung sei, daß die Männer ihre Stärke dazu benutzten, die Frauen zu vernichten, so, wie mein Vater versucht hatte, mich zu vernichten. Und ich sagte auch: »Wenn ich mir in meiner Kindheit erlaubt hätte, ein richtiges Mädchen zu sein, wäre ich zerstört worden.«
Daraufhin bat mich Dr. Beales: »Erzählen Sie doch mal von Ihren Eltern!«
Ich wandte mich vom Fluß ab und blickte in sein Katzengesicht. Ich wollte gerade damit beginnen, daß ich noch immer davon träumte, Sir Galahad zu sein und meine Mutter vor dem Mountview und vor Sonny zu retten, als mich Dr. Beales auf seine flüchtige Art anlächelte und sagte: »Sie sind sich doch darüber im klaren, daß wir sie hinzuziehen müssen, nicht wahr? Bei dem, was Sie vorhaben, ist die Unterstützung der Familie von großer Bedeutung. Es ist ein fast aussichtsloser Kampf für Patienten, deren Angehörige dagegen sind.«
Ich sah sie vor mir, wie sie hier ankamen: Sonny in seiner Arbeitskleidung, mit einer Bierfahne, Estelle in einem Pünktchenkleid, mit zerzaustem grauem Haar.
Ich erwiderte: »Sie sind tot.«
»Aha«, meinte Dr. Beales und schrieb es auf. Eltern tot.
Ich wollte ihm gerade erzählen, daß mein Vater auf dem Rhein getötet worden sei, als mir im letzten Augenblick einfiel, daß es mich, wenn er im Krieg gestorben wäre, nicht geben würde. Ich entschloß mich, ihm nicht zu berichten, wie mein Leben gewesen war, sondern wie es hätte sein können. Ich würde ihm eine Geschichte erzählen.
Ich begann: »Sie kamen auf dem Weg von Southampton nach Cherbourg bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, als ich sechs Jahre alt war. In einer Maschine der Silver City. Man konnte in diesen Flugzeugen das Auto mit nach Frankreich nehmen. Der Wagen meiner Eltern, ein Humber Super Snipe, stürzte mit ihnen ab.«
Dr. Beales schrieb auch das auf. Auto – mit abgestürzt.
»Was ist dann aus Ihnen geworden?« Ich dachte an Cord und Miss McRae und daran, daß sie beide nicht gerne nach Twickenham kommen würden. So sagte ich: »Ich wurde von einer Familie Harker, ehemaligen Freunden meiner Mutter, aufgenommen. Edward Harker ist ein sehr kluger Mann. Er kennt mein Dilemma und würde zu Ihnen in die Praxis kommen, wenn das erforderlich ist.«
»Und Ihre Adoptivmutter?«
»Irene. Irene habe ich es nicht erzählt. Irene ist eine sehr einfache und gute Frau.«
»Wenn sie gut ist, hat sie dann nicht Verständnis für Sie?«
»Nein. Es wäre zuviel für sie. Es überstiege ihr Fassungsvermögen.«
»Das können Sie nicht mit Sicherheit wissen.«
»Doch, das kann ich.«
»Sie wird es aber am Ende auch erfahren müssen.«
»Sie meinen, am Ende, wenn ich ein Mann bin?«
»Sie werden nie ein Mann sein. Jedenfalls kein richtiger, im biologischen Sinn. Es ist wichtig, daß Sie das verstehen. Verstehen Sie das?«
»Ja.«
»Sie werden – wenn Sie sich... wenn ich empfehle, daß Siesich einer Hormonbehandlung und schließlich einer Operation unterziehen – in neunundneunzig Prozent aller gesellschaftlichen Anlässe als Mann durchgehen. Doch Sie werden kein Mann sein. Sie werden aber auch keine Frau mehr sein. Haben Sie mich verstanden? Sind Sie noch entspannt? Schauen Sie weiter aufs Wasser, wenn Sie antworten!«
Ich schaute aufs Wasser. Ein Lastkahn fuhr vorbei. Er schien Steine geladen zu haben. »Was werde ich denn sein?«
Dr. Beales zupfte und zerrte an seiner Kinnhaut. Ich stellte ihn mir im Alter vor. Er würde wie ein Truthahn aussehen. »Sie werden ein teilweise konstruierter Mann sein. Man wird Sie für einen Mann halten, und Sie werden wie ein Mann aussehen – zumindest in Ihren eigenen Augen. Und so wird Ihre innere Überzeugung, daß Sie im Grunde einer sind, Bestätigung finden, wenn Sie in den Spiegel schauen, und Ihre Qual wird ein Ende haben. Jedenfalls ist das zu hoffen.«
Der Kahn war vorbeigefahren und nicht mehr zu sehen. Die Ufer wurden von den braunen Wellen seines Kielwassers überspült. Ich dachte: Wenn sich das Wasser wieder ganz beruhigt hat, sind meine fünfzig Minuten hier um.
»Ist das schon einmal vorgekommen?« fragte ich.
»Was meinen Sie?«
»Ich meine, bei anderen Leuten wie mir – daß ihre Qual ein Ende hatte?«
»Ich nehme es an«, sagte Dr. Beales, »nach dem, was sie
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