Die Verwandlung
darüber gab, wie sich Heranwachsende im Falle plötzlich auftretender Besessenheit von einem Geist verhalten sollten? Das wäre wirklich informativ gewesen.
» Wir brauchen also einen Plan « , sagte Megan. » Heute Abend wirst du wahrscheinlich keinen Arzt mehr aufsuchen können, also sollte ich zu dir kommen und Wache schieben, damit du keine Dummheiten anstellst. «
Ich blieb stehen und sah Megan an. Plötzlich sträubte sich ein Teil von mir dagegen, sie später um mich zu haben. Es war wieder jener geheime, verborgene Teil von mir, der davon träumte, eine Art Comic-Heldin zu sein.
Sie schüttelte den Kopf, dass ihre langen Haare in Wellen die Schultern hinunterfielen. » Was soll dieser Blick bedeuten? « , fragte sie schnippisch.
Ich hatte nicht auf meinen Gesichtsausdruck geachtet und drehte schnell den Kopf zur Seite. » Tut mir leid, es ist nur… Vielleicht kommt es ja nicht wieder vor, und momentan geht es mir ja ohnehin gut. «
» Sei nicht so blöd « , sagte Megan. » Vorhin hattest du Angst, dass du dich selbst umbringst, weil du dich nicht unter Kontrolle hast, wenn diese Stimmungsschwankungen kommen oder was auch immer. «
Ich entgegnete nichts. Die Veränderung, die letzte Nacht in mir vorgegangen war, war schaurig-schön gewesen, ja, aber… was, wenn ich es wieder zuließ? Was, wenn Megan nicht da wäre, um auf mich aufzupassen, wenn ich vom wandelnden Kleidersack zur Oberschlampe mutierte? Ich konnte diese sinnlichen Eindrücke spüren, die wie süchtig machende Erfahrungen, wie flüssig gewordene Wonne waren… Und anschließend würde ich noch mehr in Schwierigkeiten geraten, denen ich mich nach dem Aufstehen am nächsten Morgen stellen müsste, wenn ich wieder normal war. Sie schüttelte mich.
» Hallo? « , sagte sie. » Haben wir jetzt also einen Plan? «
» Ja « , erwiderte ich. » Klingt nach einem Plan. «
» Hallo Leelee, wie war’s in der Schule? «
Ich ließ meinen Rucksack neben der Haustür fallen, als diese hinter mir zufiel, und zwang mich, meinem Dad ein Lächeln zu schenken. Auf seinem Bildschirm wurde gerade etwas geladen, also machte er sich die Mühe, seinen Stuhl herumzuschwenken, um mich zu begrüßen. Seine Zweistärkenbrille saß schief, und seinen kahler werdenden Kopf zierte ein Head-Set. Er winkte mich zu sich herüber, um mich zu umarmen.
» Es war in Ordnung. « Ich beugte mich herab, umarmte ihn und vergrub meinen Kopf in seinem Nacken. Er hatte diesen absoluten Vater-Geruch– eine Mischung aus Old Spice, etwas Schweiß und ganz viel Geborgenheit.
Ich schätze, ich hing einen Augenblick zu lange an ihm dran, denn er flüsterte mir ins Ohr: » Hey Kleine, stimmt was nicht? «
Ich ließ ihn los und zwang mich zu einer fröhlichen Miene. Was sollte ich ihm denn sagen? Ja Daddy, es stimmt eine ganze Menge nicht. In den beiden vergangenen Nächten habe ich eine zweite Persönlichkeit entwickelt, die mich herumspringen ließ, als wäre ich mein eigenes, an Drahtseilen hängendes Ninja-Stuntteam, was sich – ja wirklich? – absolut fantastisch und aufregend anfühlte, mich aber morgens noch zum Ausflippen brachte. Und jetzt glaubt Megan, ich sei krank, während ich Angst habe, dass der wütende Geist einer toten Klassenkameradin von mir Besitz ergriffen hat, und die Schulkrankenschwester meint, ich sei entweder schwanger oder psychisch labil. Macht es dir etwas aus, mich ins Krankenhaus – oder ins örtliche Irrenhaus – zu fahren, um nachzusehen, ob irgendetwas davon zutrifft? » Nein, alles in Ordnung. Es war nur ein langer Tag. « Er musterte mich weiterhin, unsicher, ob ich auch die Wahrheit sagte. Also fragte ich: » Und wie war dein Tag? «
Sein Gesicht erhellte sich. » Oh, ich hatte alle Hände voll zu tun. Die Gilde war auf Beutezug, und wir traten den anderen voll in den Hintern. Dann ging mir der Zaubertrank aus, und ich musste ins Auktionshaus. «
» Oh, das klingt… nett. « Ich wandte mich schon zur Treppe um, biss mir jedoch auf die Lippen und drehte mich noch einmal um. » Macht es dir etwas aus, wenn ich ein bisschen zuschaue? «
» Ganz im Gegenteil. Setz dich! «
Unsere Haustür führt direkt ins Esszimmer und in die kleine Diele, in der der Computer meines Vaters steht, also zog ich einen der Esszimmerstühle heran und setzte mich ganz nahe zu ihm hin. Lange Zeit hatte es nur uns beide gegeben– Daddy und seine kleine Leelee, die lange aufblieben, um fernzusehen, jedes Wochenende ins Kino gingen, sich gegenseitig als
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