Die Verwandlung
erscheinen ließen, dass sie dadurch… perfekt wurden. Keine der Geschichten oder Gedichte, die ich las, deutete auf irgendwelche verborgenen Superkräfte hin– obwohl ich nicht annehme, dass Emily Cooke die Tatsache, dass sie die lange verschollene Tochter aus Die Unglaublichen war, ins Internet gestellt hätte. Ihr Schreibstil verriet einen größtenteils durchtriebenen Sinn für Humor. Eine Geschichte, die dürftig kaschierte Erzählung über eine Spinnerin, die an eine Verschwörung von Außerirdischen glaubt und damit herumrennt wie das Küken aus Himmel und Huhn, musste einfach von Ms. Nguyen handeln. Sie brachte mich derart zum Lachen, dass ich einen Moment lang die Verrücktheiten der letzten paar Tage vergaß. Ich entnahm diesem kleinen Ausflug in Emily Cookes virtuelle Welt nichts, was mir » Superhelden-Mädchen, das dich aus dem Grab heraus wie eine Marionette dirigiert! « zurief. Was ich ihm in erster Linie entnahm, war, dass an Emily Cooke mehr dran gewesen war, als ich angenommen hatte. Und nun war sie weg. Alles, was von ihr noch übrig war, waren Texte und Bilder auf einem Computerbildschirm. » Bist du das? « , flüsterte ich, während ich ein Selbstporträt von Emily Cooke studierte. » Machst du das? « Die Augen auf dem Schwarz-Weiß-Foto waren blass und zeigten einen Anflug von Ironie, so als würde sie alle Antworten kennen, sie mir aber nicht erzählen können. Als ich ihr Gesicht studierte– die schmale Nase, die gewölbten Augenbrauen, den trendigen blonden Kurzhaarschnitt– fühlte ich eine seltsame Verbindung. Vielleicht lag es lediglich daran, dass sie Worte und interessante Bilder ebenso mochte wie ich. Vielleicht stimmte es, dass ihr Geist immer noch unter uns weilte und aus irgendeinem Grund, den ich nicht kannte, über mir schwebte. Vielleicht war es aber auch etwas ganz anderes. Lange Zeit starrte ich auf den Bildschirm. Dann fuhr ich den Browser herunter und bereitete mich darauf vor, herumzusitzen und darauf zu warten, dass die Veränderung– die Besessenheit, die Übelkeit, was auch immer– kam und aus mir ein ganz neues Mädchen machte.
Die rote LED -Anzeige auf meinem Wecker zeigte 19 . 55 Uhr an. Nach dem Abtauchen in die Online-Welt von Emily Cooke hatte ich bis sechs Hausaufgaben gemacht und anschließend schnell unten zu Abend gegessen, womit ich eine halbe Stunde später fertig gewesen war– beinahe jedenfalls. Ich hatte kaum ein halbes Sandwich heruntergekriegt, so verkrampft hatte sich mein Magen vor lauter Nervosität angefühlt. Ich hatte es mit Lesen, dem Internet und DVD s versucht, doch es war zwecklos gewesen– ich hatte mich nicht konzentrieren können. Gestern und vorgestern war meine » Stimmungsschwankung « kurz nach 20 Uhr gekommen, als es draußen stockfinster war. Nun rückte besagte Uhrzeit immer näher, und es gab noch immer kein Lebenszeichen von Megan. Ich war innerlich zerrissen. Einerseits sehnte ich mich danach, endlich loszulegen und zu der Emily Webb von letzter Nacht zu werden. Andererseits fühlte ich mich dem Ganzen nicht gewachsen und hatte große Angst vor dem, was das alles zu bedeuten hatte. Je nervöser ich wurde, umso klarer wurde mir: Megan musste bei mir sein. Veränderung oder nicht– sie war der einzige Mensch, auf den ich mich verlassen konnte. Ich hatte Megan zwischen 19 . 00 Uhr und 19 . 55 Uhr fünfmal angerufen, und sie hatte nicht einmal zurückgerufen. Gegen das Kopfteil meines Betts gelehnt starrte ich geradeaus ins Nichts und wartete. Ich schielte zu meiner Uhr hinüber.
19 . 59 Uhr.
Nachdem ich noch einmal tief durchgeatmet hatte, griff ich zu meinem Handy, klappte es auf und scrollte hinunter bis zu » Reedy « . Das Telefon klingelte… und klingelte… und klingelte.
» Dies ist die Mailbox von… Megan Reed. Drücken Sie die Eins, um eine… «
Ich klappte das Handy wieder zu und warf es zurück auf meinen Schreibtisch. » Es war dein Plan, Megan « , murmelte ich. » Wo bist du nur? «
Die Uhr schaltete um auf 20 . 00 Uhr.
20 . 01 Uhr. 20 . 02 Uhr. 20 . 03 Uhr.
Ein plötzliches Summen von meinem Schreibtisch her ließ mich auffahren. Das Handy vibrierte von dort aus, wo ich es hingeworfen hatte, und das Display zeigte 20 . 04 Uhr.
Ich hielt Snoopy umklammert, während ich nach dem Handy griff, es aufklappte und ans Ohr hielt. Bevor ich dazu kam, überhaupt etwas zu sagen, hörte ich Megan am anderen Ende der Verbindung.
» Tut mir leid, Em, total leid, dass ich nicht da bin. Ich habe versucht
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