Die Verwandlung
Jungs zu bekommen. Benimm dich verrückt, um das Interesse von Jungs zu wecken. Schlecke Jungs ab. Verfolge Jungs. Während ich so dastand, mit meinen nackten Füßen auf den kalten Kacheln, wusste ich nicht, was ich denken sollte. Vielleicht war mein Gehirn ja noch vom Bier benebelt? Ich hätte letzte Nacht Megans Rat befolgen und mich anketten sollen. Warum hatte ich das nicht getan? Wieso fand ein Großteil von mir die Nächtliche Emily so anziehend, obwohl sie diesen Hang dazu hatte, sich wie eine Kandidatin aus einer schrottreifen Dating-Show aufzuführen, und diese verrückten Stimmungsschwankungen derart verstörend waren? Das Brechen von Regeln. Das Verärgern anderer Menschen. Das war nicht ich, unabhängig davon, wie viel Spaß ich dabei gehabt hatte. Und darum ging es, nicht wahr? Trotz all ihrer Defizite war die Nächtliche Emily die Verkörperung aller verrückten Fantasien, die ich seit der Highschool, dem Aufgeben von Megans Traum von unserer Popularität und der vollzogenen Verwandlung in ein einsames Mauerblümchen je gehabt hatte. Außer, dass die Nächtliche Emily offensichtlich keinerlei Sinn für korrektes Sozialverhalten hatte. Ich drehte mich wieder zum Waschbecken um, spritzte mir Wasser in mein dreckverschmiertes Gesicht und fuhr mir mit der Bürste durchs Haar, bevor ich mir einen Pferdeschwanz machte. Ich fühlte mich noch ganz schmutzig, hatte jedoch keine Zeit zum Duschen. Schließlich schnappte ich mir die kaputte Hose, die noch auf dem Boden lag, lief zurück in mein Zimmer und schleuderte sie in den Schrank. Es gab nichts daran zu rütteln: Letzte Nacht war ich betrunken gewesen. Völlig betrunken. Aber war es möglich, so betrunken zu sein, dass man halluzinierte? Ich meine, auch wenn mein Sehvermögen getrübt gewesen war, hatte ich meine Arme und Hände doch deutlich gesehen. Ich erinnerte mich daran, dass sie länger, mit Fell bedeckt und meine Hände in Klauen verwandelt gewesen waren. Das war unmöglich, ganz klar. Ich meine, nur weil ich eine Art weiblicher Bestie war, bedeutete das nicht, dass ich ein… Werwolf war. Das Wort schoss mir in den Kopf, als ich meine Jeans anzog. Und es fühlte sich so absolut richtig an, dass ich mit nur einem Bein in der Hose innehielt. Ich fiel rückwärts aufs Bett, wo ich liegen blieb. Bei einem flüchtigen Blick auf Snoopy sah ich, dass er noch immer auf dem Rücken in der Ecke lag, wo ich ihn letzte Nacht hingeworfen hatte.
Ein Werwolf. Was für eine überspannte Halluzination. Vielleicht hatte ich seit meinen ganzen Wahnvorstellungen von Emily Cookes Geist zu viele Horrorfilme gesehen. Und in Kombination mit Alkohol… Andererseits: Warum verbrachte ich als Nächtliche Emily so viel Zeit damit, alles zu erschnüffeln? Warum war ich stärker, schneller, anmutiger? Warum konnte ich wundersamerweise ganz deutlich sehen, und warum strotzte alles, was ich hörte und fühlte, vor Intensität? Und wie hatte ich es geschafft, meine Hose mit nur einer Handbewegung zu zerfetzen? Warum hatte ich noch immer Dreck unter meinen Fingernägeln davon, dass ich mich an der feuchten Erde festgekrallt hatte… Und mal ehrlich: Diese Erklärung ergab mehr Sinn als meine Theorie, dass ich von der anderen Emily besessen war. Nicht, dass ich sie jemals zu ernst genommen hatte. Naja, ein bisschen vielleicht. » Es muss eine logische Erklärung geben « , sagte ich laut und lachte anschließend bitter darüber, dass ich mich anhörte wie jeder Wissenschaftler in einem ganz miesen Horrorstreifen, wenn er mit etwas Außerordentlichem konfrontiert wird. » Nein, im Ernst. Vielleicht war ich im Wald ja… auf eine Schere oder etwas Ähnliches getreten. Vielleicht… « Ich wusste es nicht, hatte keine passende Antwort parat. Es mussten Halluzinationen sein, beschloss ich. Über die ganze Sache mit dem Werwolf-Mädchen hinaus erinnerte ich mich auch noch daran, gespenstische, schattenhafte Figuren um mich herumschweben gesehen zu haben. Werwölfe. Und Geister. All das gehörte strikt ins Reich der Fantasie. Meine Verwandlung in jemanden mit einem ernsthaften Fall von Geisteskrankheit könnte noch rational durch einen Gehirntumor oder etwas Ähnliches erklärt werden. Äußerst beruhigend. Es war 8 . 05 Uhr. Bereits fünf Minuten über die Zeit, zu der Megan normalerweise draußen hupte. In fünfzehn Minuten war Schulbeginn. O Mann, die ganze Zeit über hatte ich mich hergerichtet, um an diesen einen Ort zu gehen. Vielleicht sollte ich nicht mehr dorthin gehen, niemals
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