Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
zwischen Abbild und Eigenbild ist das Vor-Bild. 11 Da insbesondere Kleinkinder für das Entwickeln des Eigen-Seins viele Anhaltspunkte benötigen, werden die Personen des unmittelbaren Umfeldes – ob gewollt oder ungewollt – ständig danach abgeklopft, was an Interessantem, Richtungweisendem oder Erfolgversprechendem übernehmbar sein könnte. Dabei erhalten die Beziehung zu diesen Erwachsenen und deren Glaubwürdigkeit im Vor-Leben eine zentrale Bedeutung. So werden Standfestigkeit wie auch Standpunktlosigkeit, Aktivität oder Passivität zum Maßstab für die Selbst-Werdung junger Menschen, mit den entsprechenden positiven bzw. negativen Folgen.
»Obwohl Kinder und Jugendliche auf vielen Gebieten nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit streben und ihre eigenen Ansichten durchsetzen möchten, suchen sie gerade in den zentralen religiösen, weltanschaulichen und moralischen Fragen die Autorität und den Rat der Erwachsenen.« Daher haben sie für »Neutralität und Relativismus« wenig Verständnis, weil sie eindeutige Auskunft zum Umgang mit wichtigen Lebenssituationen wollen. Verweigern Erziehungspersonen solche Orientierungshilfen, breiten sich verständlicherweise schnell »Unzufriedenheit und bisweilen Nihilismus und Zynismus« aus. Insoweit ist ein eigenverantwortliches Hineinwachsen in die Gesellschaft ohne Vorbilder nicht möglich. Da hilft auch kein Beteuern eigener Unsicherheit oder ideologisch begründetes Heraushaltenwollen, denn mit Halbherzigkeit ist keine Werte-Erziehung möglich. Wie sollen junge Menschen aus sich selbst zwischen Gut und Böse unterscheiden können, wenn ihnen niemand unmissverständlich Auskunft gegeben hat, »was gut und böse ist« 12 ? So verwerflich es wäre, Kinder zum Ab-Bild eigener Vorstellungen zu machen, so unmöglich wäre es aber auch, sich als Vor-Bild beim Werden eines Eigen-Seins entziehen zu wollen.
Von der Verantwortung
»Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast«, lässt der französische Erfolgsautor Antoine de Saint-Exupéry den Fuchs zum kleinen Prinzen sagen, obwohl es nur um eine Rose ging. Wie viel nachdrücklicher muss diese Botschaft wirken, wenn es um das in unsere Hand gelegte Schicksal eines Kindes geht? So nachvollziehbar dieser Gedanke sein mag, beim Engagement für das sogenannte Kindeswohl gibt es deutliche Schwachstellen in der Verantwortungsübernahme. Sie meinen, ich male schwarz? Schließlich wollen doch alle Eltern nur das Beste! – Fragt sich nur, für wen!
Wenn Eltern nicht irgendein Bestes, sondern das Beste für ihre Kinder wollten, sähen viele von ihnen hoffnungsvoller in die Zukunft, würde sich der Alltag von Söhnen und Töchtern wesentlich verbessern.
Ein Beispiel aus der Nachbarschaft von guten Freunden: Jeden Morgen dasselbe Weinen, wenn die gut einjährige Sarah von ihrer als Lehrerin tätigen Mutter um Punkt 7.30 Uhr zur Tagesmutter gebracht wird. Täglich dasselbe Ritual: »Du musst nicht weinen, bei Frau X ist es doch so schön. Gleich kommen auch wieder die anderen Kinder.« Das Kind weint noch schluchzender: »Begreif doch, ich habe jetzt keine Zeit; ich muss pünktlich in die Schule, wo all die Kinder auf mich warten. Heute Nachmittag habe ich wieder mehr Zeit; tschüs, ich hab dich lieb!«
So stressig beginnt in der Regel der Wochentag für dieses Mädchen. Jeden Morgen scheint sich erneut in seinem kleinen Köpfchen das gleiche Gedankenkarussell zu drehen: »Ich bin Mama wichtig, so sagt sie, aber dann lässt sie mich hier im Stich. Also hat sie mich doch nicht lieb, bin ich ihr also nicht wichtig. – Nein, sie drückt mich doch immer so fest und gibt mir ein Küsschen. Aber die Kinder in der Schule sind ihr wichtiger, sonst bliebe sie ja bei mir.« – »Tschüs, ich hab dich lieb!« Wer kann eine solche Botschaft begreifen, ohne bitterlich zu weinen!
Ob der Preis dieses täglichen Kampfes so mancher Teilzeit-Mütter – bzw. Teilzeit-Väter – bei der Übergabe ihrer Teilzeit-Kinder an die Tageszeit-Mütter nicht doch zu hoch ist?
Noch einige Anmerkungen zu diesem Beispiel: Nicht die Einbeziehung von Tagesmüttern wird hier hinterfragt, sondern vieles im Zusammenhang dieser Betreuungshändel. Mir ist aufgefallen, dass die Nachbarin oft mehr Hinweise für die Blumenpflege erhält, wenn sie diese während des Sommerurlaubs zur Versorgung übernimmt, als dies bei der Überlassung von Kindern der Fall ist. Auch der Kanarienvogel oder erst recht Hunde und Katzen werden mit
Weitere Kostenlose Bücher