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Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit

Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit

Titel: Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kösel-Verlag <München>
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Verhalten seiner Umgebung nahm der Knabe Oblomow eine umfassende Ängstlichkeit in sich auf, die noch dem Erwachsenen sein Weltverhältnis bestimmte.« Spielen im Gelände war zu gefährlich, schien die Sonne, war es zu heiß, wehte ein leichter Wind, bestand Erkältungsgefahr, wollte er mit anderen Kindern spielen, sollten auf keinen Fall Streit und Rauferei entstehen, geriet er für wenige Minuten aus dem Blick der Kinderfrau, drohte für beide Schelte. Der Elan des Kindes wurde durch ständige Ängste, Ermahnungen und Tabus gefesselt. 34
    Für den erwachsenen Oblomow wird das Bett zum Ort des Lebens. Nicht weil er erschöpft ist, schwach oder krank. Nein, er ist das Urbild der Passivität und Bequemlichkeit. »In seinem Schlafrock dahindösend, nimmt er den Ablauf der Zeit mit einer Gleichgültigkeit hin, als ob er nie und nimmer etwas zu tun hätte. Er selber fühlt sich weder befähigt noch dazu angespornt, ins Leben einzugreifen: von Wille und Willenskraft findet man bei ihm keine Spur« 35 . Die Sorge um das Essen wird »die erste und vornehmlichste Lebensfrage«. 36 Und: »Oblomow ist zu gutmütig, um sich in einen Kampf mit der Welt einzulassen. Dies brächte ihn in Gefahr, seine Sorglosigkeit und Bequemlichkeit einzubüßen.« 37
    Verlassen wir das Russland des 19. Jahrhunderts und wenden wir uns dem heutigen Leben zu. Auch wenn dies gedanklich eine neue Plattform schaffen mag, die Mechanismen der Verwöhnung sind dieselben geblieben. Sie lässt Selbstständigkeit und Eigenaktivität nicht aufkommen und »macht aus dem Kind ein Spielzeug oder eine Puppe, mit der man nach Belieben agieren kann. So dient der Verzärtelte den emotionalen Bedürfnissen seiner Betreuer, die so gerne einem ›Objekt‹ ihre Gefühle schrankenlos zukommen lassen möchten, wobei ihr eigenes Selbstwertgefühl (das immer prekär ist) durch die Beschützer- und Betreuerrolle gestärkt wird. Aus persönlicher Schwäche und Unausgeglichenheit heraus kann der verzärtelnde Erzieher nicht die Interessen des Zöglings im Auge behalten: so wie er selber ›ichhaft‹ (das heißt ängstlich) im Leben steht, erzieht er auch ich-bezogen, nicht sach- oder du-bezogen. Nichts entmutigt so sehr wie die Verwöhnung, die einen völlig irrigen Lebensentwurf zeitigt, mit dem später nichts an Schwierigkeiten und notwendigen Auseinandersetzungen bewältigt werden kann! Ein Übermaß an Zärtlichkeit führt unweigerlich zu späteren Frustrationen durch das Leben, was mit bitterer Enttäuschung registriert wird.
    Jeder Neurotiker fühlt sich vom Leben missverstanden und misshandelt: Er misst an seiner Kindheitserfahrung, wo ihm alles – Liebe, Zärtlichkeit usw. – ohne Anstrengung entgegengebracht wurde.
    Die ganze Dimension des Handelns in der Gegenwart und das entschlossene Vorgreifen in eine zu planende Zukunft wird in einer solchen Erziehung ausgespart.« 38 So wird persönlichen Neigungen und Anlagen ein Dauerschlaf verordnet, können sich Interesse und Eigenständigkeit keinesfalls entwickeln, werden Menschen zu inaktiven Zeitgenossen abgerichtet.
    Ein finaler Deutungsschluss
    Der individualpsychologische Ansatz nach Alfred Adler
    Mit seiner Analyse des verwöhnten Oblomow hat Josef Rattner schon einige Grundgedanken der Individualpsychologie (IP) umrissen. Diese auf Alfred Adler zurückgehende tiefenpsychologische Schule hat wie kaum eine andere gleichzeitig die pädagogische Praxis beeinflusst. Adlers Werk Über den nervösen Charakter. Grundzüge einer vergleichenden Individualpsychologie und Psychotherapie aus dem Jahr 1912 schuf die Grundlage für seine weitere theoretische und praktische Arbeit. Die Kernaussage seines Erklärungsansatzes für menschliches Verhalten lautet: Das ›Gemeinschaftsgefühl‹ ist der wichtigste Teil in der Struktur der Persönlichkeit.
    Mit dem aus heutiger Zeit stammenden flapsigen Spruch ›Dabei sein ist alles‹ kommen wir diesem Adler’schen Begriff näher. Präziser formuliert geht es um die ›Dazugehörigkeit‹, das Streben nach einem anerkannten und sicheren Platz in der Gemeinschaft. Damit stellt sich für jeden die Leitfrage, was in den unterschiedlichsten Situationen des Alltags förderlich bzw. hinderlich für ein Zusammenleben ist. Welche biologischen oder psychischen Mängel existieren bei mir und bei anderen – bzw. werden als solche empfunden – und wie sind sie auszugleichen? 39 Was kann/sollte ich dazu beitragen, um eine angemessene Funktion oder Position in meinem Lebensumfeld zu

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