Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Gleichzeitig sind sie Opfer ihrer vielfältigen Schwächen. Diese äußern sich als Unsicherheiten und Fluchttendenzen, bis hin zu hypochondrischen Ängsten. Alles, was den Menschen jedoch ängstigt, »macht ihn nicht besser, sondern böser!« 40 Unberechenbarkeit und ein gemeinschaftsschädigendes Verhalten sind die Folgen. Andere Ausdrucksformen eines neurotischen Lebensstils sind überzogene – und damit nie erreichbare – Ziele sowie eine deutliche Bevorzugung von Schwarz-weiß- bzw. Gut-schlecht-Polarisierungen. Damit werden äußerst ›geeignete‹ Begründungen für eine grundlegende Verweigerung dem Leben gegenüber geschaffen. Alles, was zu einem eigenen Beitrag, zum Mittun herausfordern könnte, wird wegen zu großer Mühe oder offensichtlicher Unerreichbarkeit abgelehnt.
Dies zeigt einen gewissen Infantilismus; die menschliche Reife lässt stark zu wünschen übrig. »Im ›Freud’schen‹ Sinne ist er [der Verwöhnte] in seiner Entwicklung beim ›Lustprinzip‹ stehengeblieben und hat das ›Realitätsprinzip‹ nur teilweise adoptiert.« Seine Handlungsfähigkeit ist deutlich eingeschränkt, das Gemeinschaftsgefühl stark reduziert. »Sein Verbundenheitsgrad mit den Mitmenschen reicht nicht hin, um in Arbeit, Liebe und Gemeinschaft (die drei Lebensaufgaben) einen nützlichen und produktiven Beitrag zu leisten. Aus Angst vor dem Versagen erfolgt ein Ausweichen in die Phantasie, in eine ›fiktive Lebensführung‹, die Sicherheitsbedürfnissen und illusionären Geltungstendenzen dienen soll.« 41 Eine fatale Situation ergibt sich für den Verwöhnten bei seinem dauernden Kreisen um sein minderwertiges, schwaches Selbst. Denn »je weniger man ›in sich selbst‹ ist, umso mehr möchte man es sein und gelten; man giert immer nach dem Schein, wenn das Sein nicht zu tragen vermag«. 42 Das ›Minderwertigkeitsgefühl‹ ist nach Adler das »Kernstück jeder pathologischen Entwicklung des Seelenlebens«. Daher messen sich Neurotiker ständig am anderen, so wie Heideg-ger dies mit dem Begriff des »Man-selbst« in Sein und Zeit beschreibt, ständig besessen von der unruhigen Frage, ob andere einem voraus seien. Nicht wie ›ich‹ bin oder sein möchte, sondern wie ›man‹ ist oder sein sollte, wird zum Bewertungsmaßstab. 43
Vom Grundsatz sehen verwöhnte Menschen schon die Möglichkeit, sich aktiver in das soziale Umfeld einzubringen; aber die Welt müsste dazu doch etwas positiver sein. Da sie sich aber nicht nach den Wünschen verzogener Kinder richtet, wird Mitspielen und Mitwirken abgewertet. Wozu sollte man sich vital durch Arbeit oder Liebe in die Welt einbringen, in welcher doch so viele Missstände vorherrschen? Solche Ansichten sind typisch für verwöhnte Menschen, bei denen jeglicher eigene Antrieb gehemmt wurde und die durch eine dauernd »angezogene Bremse« zur Bewegungsunfähigkeit verurteilt wurden. Dies führt zu der Lebensmaxime: Größtmögliche eigene ›Bequemlichkeit‹ bei gleichzeitiger ›Riesenerwartung‹ an andere. 44
Die Dissertation von Barbara Oehler Der Einfluß der verwöhnenden und verzärtelnden Erziehung auf die gesunde und kranke Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit aus dem Jahr 1977 belegt eindrucksvoll die Ursachen und negativen Auswirkungen einer solchen Grundhaltung. Jede fehlende Herausforderung, jede ausbleibende Ermutigung für das Handeln eines Kindes führt über die Perspektivlosigkeit zur Ausweglosigkeit. »Dann verdichten sich sein Pessimismus und seine Ängstlichkeit zum ›Minderwertigkeitskomplex‹« 45 , was nach Rattner zu einem krankhaften Stillstand in der seelischen Bewegung führt.
Da der verwöhnte Mensch in der Kindheit die falsche Information bekommen hat, dass sich alles im Leben um ihn dreht, hat er diese Meinung auch noch als Erwachsener.
So träumen solche Zeitgenossen von einem ›Zauberland, wo es nichts Böses, keine Sorgen und Verdrießlichkeit gibt, wo man gut zu essen bekommt und umsonst gekleidet wird‹. 46 In der Realität sind Unfreundlichkeit, Missmut, Kontaktarmut und Launenhaftigkeit Signum solcher Menschen. Sie nehmen im Leben eine Zuschauerhaltung ein und versuchen etwas von den Aktivitäten anderer zu erheischen. Nach Adler gibt es »nur einen einzigen Grund, warum ein Mensch auf die unnützliche Seite abbiegt: Die Furcht vor einer Niederlage auf der nützlichen Seite« 47 .
Je kleiner die Zahl sinnvoller oder gar notwendiger Reaktionen in einer Situation, umso größer ist das Unsicherheitsgefühl mit der
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