Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Erziehungsprozess läuft darauf hinaus, durch viele positive Erfahrungen die Motivation zu stabilisieren, vom Gefordertwerden zur eigenverantwortlichen Selbstforderung zu gelangen.
Verwöhnte Menschen geraten schnell in folgenden – sich selbst verstärkenden – Teufelskreis: Ein »mangelnder Einsatz von Bewegungspotenzial führt zu Muskelschwäche und Kreislaufstörungen, zur Abnahme der Leistungsfähigkeit, dies wiederum macht den Einsatz der Werkzeuginstinkte mühevoll, und man bewegt sich noch weniger. Sämtliche dem Bewegungsmangel entspringenden Zivilisationskrankheiten unterliegen dieser positiven Rückkopplung. So führt etwa mangelhaftes Kauen zu schlechten Zähnen, dies wiederum zu mangelhaftem Kauen.« 56 Reduzierte Bewegungsabläufe wirken sich jedoch nicht nur auf Muskeln und Knochenbau, sondern auf Dauer auch auf die sozialen Kontakte aus. Liegt der Grund für ein fehlendes Zugehen auf andere Menschen anfänglich in der zu großen Bequemlichkeit, wird dieser Trend im Laufe der Zeit durch ein gesunkenes Selbstwertgefühl verstärkt. Mit einem schwachen Ich wird man sich erst recht nicht aus den ›häuslichen vier Wänden‹ heraustrauen, was dem Prozess selbstbezogener Verharrung einen weiteren Schub gibt.
Verwöhnung pflanzt sich durch Verwöhnung fort. So werden immer neu nachwachsende Generationen zu Opfern, die zeitlebens mit den so vorprogrammierten Verhaltensstörungen leben müssen. »Hassenstein schreibt über Verwöhnung als Erziehungsfehler: ›Dem verwöhnten Kind werden alle Wünsche sogleich erfüllt, ohne dass es eigene Aktivität und Phantasie entfaltet, Mühe und Anstrengung aufbringt, und ohne dass es zu Triebaufschub und Triebverzicht fähig wird.‹« Die Verwöhnung von Kindern ist »deswegen besonders schlimm, weil sie von sich aus hochaktiv sind« und gar nicht – falls dies überhaupt möglich ist – an Verwöhnung denken würden. »Ein Kind nimmt die Anstrengungen, die zur Triebbefriedigung vorgesehen sind, als Selbstverständlichkeit auf sich – die Reflexionsfähigkeit ist noch nicht so weit entwickelt, dass es auf den Gedanken käme, in sein Triebsystem und in die natürliche Lust-Unlust-Ökonomie einzugreifen.« 57 Ein verwöhntes Kind kann keine ›Durststrecke‹ zwischen Wunsch und Ziel ertragen, weil es in der Regel eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung anstrebt. »Die schnelle Befriedigung der Wünsche und der Mangel an Selbstbeherrschung führt nach Hassenstein ›fast mit Notwendigkeit zu einer Anspruchshaltung des Kindes: weil es nicht verzichten kann, fordert es seine Wunscherfüllung‹. Damit wird der Weg zur Herrschsucht geöffnet und zu mannigfachen Konflikten mit der Umwelt.« Die verwöhnende Erziehung ist daher besonders verwerflich: »Das Kind wird zur Selbstverwöhnung verführt.« 58
Zur Differenzierung ist die Unterscheidung zwischen ›Verwöhnt-Werden‹ und ›Sich-Verwöhnen‹ wichtig. Dies hervorzuheben ist deshalb klärend, weil häufig Verwöhnung nur im Zusammenhang mit Erziehung gesehen wird. Aber das Gesetz der doppelten Quantifizierung wirkt genauso zwischen Erwachsenen wie auch im Umgang mit sich selbst. Insoweit wird Verwöhnung nicht nur – häufig sogar gerne – erduldet, sondern auch gesucht.
Der Mensch wollte immer schon Lust ohne Anstrengung genießen. Nur gab es in früheren Kulturen viel weniger Umsetzungsmöglichkeiten, entweder weil es an Mitteln bzw. Gelegenheiten fehlte oder diese ritualisiert wurden. Heutige – durch Wohlstand geprägte – Gesellschaften erleichtern diese Bestrebungen durch das breite und jederzeit verfügbare Konsumangebot mannigfach. Das schadet nicht nur dem nach Verwöhnung Trachtenden und seinem sozialen Umfeld, sondern verursacht auch lebensbedrohliche ökologische Probleme. Denn »Anspruchsverwöhnung führt letztlich zur Zerstörung der Umwelt, Anstrengungsverwöhnung zu Aggression und Selbstzerstörung«. 59
Es wurde belegt, dass Verwöhnung das Triebsystem lähmt und die nicht eingesetzten Aktionspotenziale Überfütterung, Unlust, Frustration und Aggression erzeugen. Durch die Verdeutlichung der verschiedenen Faktoren im Umfeld der Verwöhnung wurden differenziert Schritte aufgezeigt, wie diese ›Fahrt im Aufzug der Bequemlichkeit‹ verlangsamt und gestoppt werden kann. Das wirksamste Mittel – um im Bild der Lift-Beförderung zu bleiben – ist: Das ›Geistwesen‹ Mensch motiviert sich in Selbstbestimmtheit und freier Einsicht für das Treppenhaus. Diese jederzeit zu
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