Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
bewahren kann, und diese Erfindung, die in jeder höheren Kultur gemacht wurde, führt zum Laster.‹« 62 Es geht also nicht mehr um Verwöhnt-Werden oder Verwöhnt-werden-Wollen durch andere, sondern um Selbstverwöhnung. Damit ist die größte Anwendungsmöglichkeit verbunden, weil wir jederzeit entsprechende Stimulationen einleiten und Handlungen umsetzen können. Die Selbstverwöhnung findet nach den gleichen Regeln wie die Verwöhnung anderer statt.
Ein Widerstreit unterschiedlicher Bestrebungen setzt ein, in Anlehnung an das Bild ›Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust‹. In Pro und Kontra werden die Positionen deutlich. Ein möglichst viel und einfach ›haben wollendes Ich‹ versucht sich gegen ein ›Bewertungs-Ich‹ durchzusetzen. Meistens erzielt die Stimme des inneren Verwöhners die größere Wirkung. Plausibel klingend wird die Wichtigkeit der angestrebten Reizszenarien begründet, um sie so zur Handlungsmaxime machen zu können. Das geheime Ziel des ›Verwöhn-Ich‹ jedoch heißt ›Unterwerfung und Ausschaltung vorhandener Kontrollinstanzen‹. Der verwöhnen wollende Ungeist setzt alles daran, dass kein starkes Selbst als Kapitän unseren Lebenskurs bestimmt.
Süß säuselt eine Stimme: »Gönn es dir und schau nicht auf die Pfunde, etwas füllig sein steht dir gut.« – »Frag nicht, ob du es brauchst, kauf es, wenn es dir Spaß macht, und lass dich nicht von deinen lustfeindlichen Gedanken kleinkriegen.« – »Bleibe ruhig im Bett liegen, die Arbeit läuft dir schon nicht weg.« – »Lass doch deine albernen Vorsätze, eine solche Gelegenheit bietet sich so schnell nicht noch mal.« – »Was heißt hier Treue – Liebe kann niemals Sünde sein.« – »Zum Feiern gehört das einfach dazu, ein Schnäpschen in Ehren kann niemand verwehren.« – »Tauche einfach mal bis tief in die Nacht ins Fernsehprogramm, der zu klärende Konflikt mit deiner Frau kann warten.« – »Für deine Prüfung kannst du immer noch lernen, denke jetzt doch mal an dich!« – »Nimm ruhig den Aufzug, ›einmal ist keinmal‹, Treppensteigen hat der Arzt sicherlich nicht mit ›Sie brauchen viel Bewegung‹ gemeint.« – »Und täglich ›ein kurzes Stündchen‹ zwischen Facebook und Twitter in der Internet-Welt surfen kann doch nicht verboten sein, wer da was dagegen hat, ist ein Technikfeind.«
Eher zaghaft und mit wenig Überzeugungskraft kommen als Gegenargumente: »Aber ich habe doch wirklich massives Übergewicht, jetzt muss Schluss sein.« – »Eigentlich brauche ich doch gar keine neue Bluse, und Kosmetik habe ich mehr als genug.« – »Was mache ich denn, wenn mein Arbeitgeber die vielen Fehlzeiten nicht mehr akzeptiert und mir kündigt? Ich kann mir wirklich kein Zuhausebleiben leisten.« – »Meine Frau würde sich in einer solchen Situation bestimmt nicht so verhalten und auf Distanz gehen; reiß dich zusammen.« – »Ich will doch nicht wegen etwas Alkohol bei dieser Feier den gefassten Abstinenzvorsatz aufgeben.« – »Eigentlich ist doch gar nichts im Fernsehen und die anstehende Konfliktklärung habe ich schon seit Tagen verschoben.« – »Zweimal bin ich schon durch die Prüfung gefallen, es ist doch die letzte Chance.« – »Meine Muskulatur braucht wirklich Bewegung, von meinem Kreislauf ganz zu schweigen, fang doch hier an.« – »Das Internet gefährdet mein Beziehungsleben, raubt mir oft den Nachtschlaf und macht mich völlig kaputt.«
Ein starkes ›Verwöhn-Ich‹ wird schon bald die Gegenwehr des ›Anti-Verwöhn-Ich‹ gebrochen haben. Der ›innere Schweinehund‹ schaut dann genüsslich auf sein Werk: »Ich hab das Geschehen fest im Griff«, triumphiert er, der Erfolg kann sich sehen lassen: Kaufrausch, maßloses Essverhalten, Alkoholabhängigkeit, nicht bestandene Prüfungen, Seitensprünge, Gefährdung oder Verlust der Arbeitsstelle, unkontrollierter Medien-Gebrauch, Bewegungs- und Kreislaufprobleme, Fernsehsucht und Konfliktvermeidung sind die Ergebnisse einer solchen Selbstverwöhnung.
Auf Dauer muss der Einzelne immer mehr Kraft und Durchhaltevermögen aufbringen, um in der Situation der ›Versuchung‹ nicht zu kapitulieren. Selbstverwöhnung arbeitet mit einer automatischen Beschleunigung: Mit verführerischer Leichtigkeit provozieren die niederen Instinkte das unkontrollierte Wollen: Vollgas für die Triebe, die Steuerungsinstrumente werden tiefer gelegt, Bremsen sind nicht vorgesehen.
Eine besonders intime Form der Selbstverwöhnung gibt es in der
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