Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Fortbestand. Die Konsumindustrie setzt alle Mittel ein, von der aggressiven Werbung und Preisverschleierung über kostenfreie Erstnutzung bis hin zu zinsfreiem Zahlungsaufschub, um durch verwöhnende Annehmlichkeiten und Luxusartikel Abhängigkeiten zu schaffen.
Aber innere Zufriedenheit kann nicht durch das Erreichen eines Zieles ohne eigene Anstrengung und Herausforderung erreicht werden. »Vor den Preis haben die Götter den Schweiß gesetzt«, sagt der Volksmund. Für Zweifler hier ein Selbsttest: In welcher Situation schmeckt das kühle Lieblingsgetränk besser: nach einer vierstündigen Wanderung oder nach einer kurzen Autofahrt zu einem schönen Berggasthof? Nicht die Verwöhnung, sondern der selbst geschaffene Erfolg erschließt Glück und soziale Anerkennung, am besten mit gleich gesinnten Personen.
Es gibt Menschen, welche aus der Hoffnung auf eine Wiedergeburt die Kraft zum Meistern des momentanen Lebens beziehen. Das Christentum verkündet den Gläubigen zum besseren Durchhalten und Bewältigen all der irdischen Unzulänglichkeiten und Beschwerden, dass im Jenseits die Zeit erlösten und sorglosen Seins anbricht. Diese Botschaft muss bei Karl Marx während seiner Klosterschulzeit in Trier zu dem Zweifel geführt haben, ob die Menschen einen solchen Hoffnungsaufschub überhaupt leben wollen. Er versprach ihnen daher den Himmel auf Erden. Wesentlich profaner und unpolitischer ist die Geschichte vom Schlaraffenland, wo selbst ein Zugreifen nicht nötig ist, weil z. B. die gebratenen Tauben den nach Speise Trachtenden in den Mund fliegen. Allen gemeinsam ist die Hoffnung, möglichst bald ein müheloses und sorgenfreies Leben ermöglicht zu bekommen. Verwöhnung als Lebensprinzip setzt das um, was viele kaum für möglich halten: ›Genuss bzw. Zuwendung ohne Anstrengung‹, ›ein Paradies auf Erden‹, wenn auch zum Preis eines neuen ›Sündenfalls‹ mit den Folgen von Abhängigkeit und psychischer Deformation.
Der Preis der Verwöhnung
Die ersten Kindertränen sind Bitten. Sieht man sich nicht vor, so werden Befehle daraus.
Jean-Jacques Rousseau
Was hat die Erfindung des Kinderwagens mit Verwöhnung zu tun? Einiges, wie wir gleich sehen werden.
Immer schon hatte der kulturelle Fortschritt das Ziel, durch das Schaffen von Neuem bisherige Mühen reduzieren zu wollen. Aber bei solchen Errungenschaften liegen Förderliches und Hinderliches, wie so häufig, ganz nah beieinander. So führte auch die Billigung der Entwicklung eines technischen Gerätes zur rollenden Fortbewegung von Babys durch die englische Königin Victoria nicht nur zu einer schnellen Verbreitung dieser Neuheit, sondern schuf andererseits auch eine Basis zum unnatürlichen und verzärtelnden Umgang mit Kleinkindern.
Ganz sachlich betrachtet hat der Kinderwagen eine fahrbare Aufbewahrungsmöglichkeit geschaffen. Gleichzeitig wurde damit jedoch der körpernahe Kontakt zu Mutter, Vater oder anderen wichtigen Bezugspersonen reduziert, die natürliche Beziehung zum Kind beeinträchtigt. Eine Welt-Erfahrung, beispielsweise aus einem Tragetuch heraus, vermittelt mit der Aufnahme von neuen Sinneserfahrungen gleichzeitig auch Anhaltspunkte zu ihrer Verarbeitung. Ein ungewöhnliches Geräusch, eine fremdartige Situation geht einher mit einem ruhigen oder weniger ruhigen Herzschlag. So werden wichtige Hinweise zur Bewältigung bzw. Einordnung dieser Ereignisse vermittelt. Die Isolation im Kinderwagen dagegen raubt neuen Erdenbürgern diese Assimilationshilfe. So sind die Kinder allen auf sie eindringenden Sinnesreizen ganz allein ausgeliefert. Werden einige davon als beängstigend erlebt, was häufig mit Schreien zum Ausdruck gebracht wird, braucht das Kind eigentlich die Sicherheit gebende Nähe einer Primärperson. Stattdessen werden dann, auch dafür hat die technische Entwicklung Hilfsmittel geschaffen, Schnuller, süße Tees, Kuscheltiere, Spieluhren oder Ähnliches gereicht, damit so das fehlende Gleichgewicht wieder in die Balance kommen möge. So wird nicht auf Bedürfnisse, sondern auf Symptome reagiert. – Bevor sich jedoch zu starke nostalgische Gefühle breitmachen: Niemand kann das Rad der Zeit zurückdrehen, aber eine Vergegenwärtigung dieser Zusammenhänge ermöglicht eine angemessenere Beachtung.
Um die verschiedenen Konturen und Ausdrucksformen der Verwöhnung zu bündeln, hier eine zusammenfassende Definition:
Verwöhnung basiert auf einem schwachen Selbstwert, äußert sich als Angst und daraus resultierendem fehlenden
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