Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Sexualität. Fernsehen, Telefon, Internet und Video haben technische Voraussetzungen geschaffen, mit etwas Imaginärem erotisch-sexuelle Kontakte einzugehen: im TV- und Video-Bereich sichtbar, aber ohne direkten Bezug, bei entsprechenden Telefonkontakten unsichtbar, dafür mit einem Quasi-Bezug. Im Internet geht beides. Von der illustren Einstimmung bis hin zur gezielten sexuellen Handlung – alles ist bei geringstem Aufwand möglich. Es gibt keine Kleidervorschrift, der nötige Reinigungsschub für Wohnung oder Bett kann aufgeschoben werden, Figurprobleme fallen nicht auf, knifflige Gesprächssituationen oder peinliche Fragen braucht niemand zu fürchten, möglicher Abschiedsschmerz bleibt ausgeklammert, selbst ein penetranter Mundgeruch stört nicht, weder morgens, mittags noch nachts. Die Fantasie kann auf Standby-Schaltung gehen, weil meist überreichlich entsprechende Reizsignale in irgendwelche vier Wände geliefert werden. Telefonsex, Pornofilme, Cybersex, Peepshows und Erotikshops, dies sind die Warenangebote für entsprechend ambitionierte Do-it-yourself-Fans. Wer auf solche Stimulanzmittel im Umgang mit Sexualität setzt, jeglichen Aufwand maximal minimiert, gerät real schnell in eine schale Einsamkeit. Bei den Versuchen, diese wenigstens phasenweise zu überwinden, werden die Intervalle auf der Suche nach sexueller Entspannung immer kürzer, bei gleichzeitigem Rückzug aus erotischen Kontakten mit einem realen Partner. Was in Sondersituationen entlastend sein kann, wird auf Dauer belastend. Denn wer ständig in sich bleibt, sollte sich nicht wundern, dass andere seine Existenz bezweifeln.
Sich selbst etwas Gutes zu tun kann die reife Leistung einer Persönlichkeit sein. Was aber in der Situation gut ist, lässt sich oft nicht so einfach klären. Der Gedanke ›Gönne es dir‹ kann nach einer erbrachten Anstrengung durchaus angemessen sein. Er kann aber auch als Ausdruck schneller Genusssuche eine aktive Selbstverwöhnung belegen. Dagegen sind die Denkweisen bzw. Redewendungen ›Lass es‹, ›Das muss nicht sein‹, ›Ich kann auch ohne … leben‹, ›Sport ist Mord‹ im Zusammenhang sinnvoller oder notwendiger Aktivitäten typisch für eine passive Selbstverwöhnung. Für welchen Weg sich der Einzelne auch entscheidet, ob im Bereich von Sexualität, Ess-, Kauf- oder Trinksucht, zielstrebig betreibt er seine Selbstaufgabe mit den Folgen sozialer Isolation und leistungsbezogener Stagnation. Dazu kommen die negativen Auswirkungen für das unmittelbare Umfeld bzw. die Gesellschaft insgesamt. Angesichts der vielen Herausforderungen im täglichen Lebensalltag wären stattdessen Ressourcensuche und Lebenstraining angesagt. Und für das ersehnte Hoch in den Tiefen einer tristen Alltäglichkeit sind dann auch nicht mehr S-Bahn-Surfen, Autorasen, Bungee-Jumping oder andere Risiken notwendig, weil das Überwinden von Grenzen, Hürden oder Distanzen bei wichtigen Vorhaben genügend Thrills bietet und über Endorphinausstöße Glücksgefühle freisetzen würde.
Verwöhnung als ›Sündenfall‹ der Moderne
Wer einem Menschen Lob, Geld, soziale Anerkennung oder andere Zuwendungen ohne eigenen Beitrag – und sei er noch so klein – auf Dauer zukommen lässt, der verwöhnt. So wird Erfolg ohne Mühe antrainiert und eigene Leistungsbereitschaft reduziert. Selbst Gangster mit Stil achten darauf, sich bei ihren Coups nicht zu unterfordern, weil sonst das Erfolgsgefühl schrumpft. Demnach hat der gewagte ›Bruch‹, mit viel Anstrengung und Angst durchgestanden, einen viel höheren Wert als ein durch Betrug ergaunerter ›schneller Euro‹. Auch wenn so grob gegen Recht verstoßen wird – die Erkenntnisse der Verhaltensforschung werden beherzigt.
Moderne Gesellschaften haben so viele Gegebenheiten und Mittel der Lebenserleichterung geschaffen, dass deren Fülle und breite Verfügbarkeit auf viele Menschen als Erschwernis wirken. So entpuppt sich das, was als Fortschritt bezeichnet wird, vielfach als Rückschritt. Aus dem Blickwinkel der Verhaltensforschung stoßen wir somit als Erstes auf die Anstrengungsreduzierung. Ob zur Nahrungsbeschaffung, bei Arbeiten in Haus und Betrieb, im sozialen Kontakt, selbst bei der Partnersuche, in allen Fällen werden Techniken zur Reduzierung des Aufwands eingesetzt. Die Nahrung wird nicht mehr selbst angebaut oder erjagt, sondern mit dem Auto eingekauft. Abgesehen von wenigen Tätigkeiten oder Berufen verlangt auch die Arbeit kaum noch den Einsatz der Muskulatur. Soziale
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