Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Zutrauen, verhindert ein Aufgreifen von Herausforderungen, manifestiert eine substanzielle Entmutigung gegenüber eigenständigem Wachstum mit der Folge einer reduzierten Lebensqualität, führt auf Dauer zu einem gestörten Gemeinschaftsbezug und macht letztlich abhängig und einsam.
Verwöhnung ist Verwahrlosung im Glitzerlook
»Wir haben genug, wovon wir leben können, aber zu wenig, wofür«, meinte der Wiener Psychotherapeut Viktor E. Frankl. Es gehört zum Prinzip von Konsumgesellschaften, ständig neue Märkte zu schaffen. So werden »immer mehr Menschen mit der Bereitstellung von Gütern und Diensten beschäftigt, für die eine Nachfrage erst mühsam geschaffen werden muss. Noch nie boomte die Werbebranche so wie heute, denn noch nie wussten die Konsumenten mit vielen der angebotenen Güter und Dienste so wenig anzufangen.« So der Wirtschaftsexperte Meinhard Miegel schon in einem Exposé im Sommer 1999 zur »Zukunft der Arbeitsgesellschaft«. Die für das Kaufverhalten notwendige Steigerung von Ansprüchen wirkt sich natürlich auch da aus, wo anstelle von Konsum eigenes Tun notwendig wäre. Selbst wenn Geld reichlich vorhanden sein sollte, können z. B. in der Schule – wenigstens offiziell – Noten nicht gekauft werden und auch Partnerschaften oder Freundschaftskontakte lassen sich durch Geld nicht einfacher gestalten.
Die Anonymität der Abläufe in einer gelderprobten Kaufgesellschaft spiegelt sich mittlerweile in den familiären Beziehungen wider. »Aus dieser gesellschaftlich geförderten Kälte erwächst die Gewalt als Abwehrmechanismus gegen destruktive Strukturen, als Verteidigung der Kindheit gegen die Gleichgültigkeit, als Hilfeschrei nach Zuwendung und Geborgenheit.« 64 Besonders zu den verschiedenen Hochfesten des Schenkens wird dies deutlich. Kleine persönliche Überraschungen oder einfühlsame Aufmerksamkeiten werden dem Verschieben von Banknoten oder Geschenk-Gutscheinen geopfert. Direkt und indirekt beschleunigen diese Marktmechanismen verwöhnendes Tun, weil sie die Bequemlichkeit fördern. Rasant verarmt jedoch so das zwischenmenschliche Miteinander. Da nach von Cube Verwöhnung zwangsläufig zu steigenden Ansprüchen mit der Folge einer wachsenden Aggression führt, 65 entsteht so ein sich gegenseitig beschleunigender Teufelskreis.
»›Wir laufen willig hinterher, die Bäuche voll, die Köpfe leer‹. Mit dieser Hymne auf den Lippen marschiert eine endlose Kolonne von Kindern in Susanna Tamaros Erzählung ›Der Zauberkreis‹ in Schlafanzügen durch die Stadt. Die Kinder haben viereckige Augen und blicken starr geradeaus, ›als hätte eine Schlange sie hypnotisiert‹.« Die Kinder sind das Ergebnis einer perfekten Anpassung an eine allgegenwärtige Mediengesellschaft, »in der eigenes Denken und eigener Lebensstil suspekt sind und verfolgt werden. Im ›Schloss der Träume‹ hängen für sie Dutzende von Bildschirmen. ›Keiner muss mehr verzichten, keiner muss sich mehr anstrengen, hier wird euch jeder Wunsch erfüllt, ehe man sich’s versieht. (…) Es gibt keine Grenze für eure Wünsche, es gibt keinen Traum, der nicht wahr wird. (…) Ein Shampoo ohne Schaum‹ hat allen das Gehirn gewaschen.« 66 Hier wird exemplarisch vor Augen geführt, wie der schöne Schein einer Welt von Glitzer und Flitter Menschen in die Abhängigkeit bzw. Unfähigkeit führt.
Dass zu viele Menschen mit einer zu geringen Basis-Ausstattung ins Leben wachsen, wurde spätestens durch die sehr informative, salopp formulierte und mit einer kräftigen Portion Selbstironie ausgestatteten Buchveröffentlichung von Stefan Bonner und Anne Weiss unter dem Titel Generation Doof ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Dass dem Buch einige Zeit ein Spitzenplatz in den Bestsellerlisten beschieden war, mag Autoren und Verlag erfreut haben. Die Frage, ob die breite Leserschaft dies auch zum Anlass nahm, für eine substanzielle Nachbesserung zu sorgen, ist aus meiner Sicht noch unbeantwortet. Fakt ist jedenfalls, dass immer mehr Kinder und Jugendliche, welche mit hoffnungsvollen Erwartungen ins Leben starteten, zu schnell in beträchtliche Turbulenzen geraten, ob in Ausbildung und Beruf oder Partnerschaft und Freizeit, weil ihnen Wesentliches in den Bereichen Antriebsstärke, Selbstdisziplin, Mitverantwortung und Adaptionsfähigkeit fehlt. »Da wir es gewohnt sind, uns jeden Wunsch zu erfüllen, und sei er noch so nichtig, haben wir das Warten verlernt. Vorfreude hat keinen Platz mehr im Denken der
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