Die Verwöhnungsfalle - für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit
Generation Doof. Wir agieren selbst im fortgeschrittenen Alter wie Kinder an der Quengelkasse. Alles muss gleich und sofort passieren.« 67
Zur Ruck-zuck-Befriedigung recht schillernder Bedürfnisse bietet die mediale Welt reichlich Umsetzungsmöglichkeiten und entwöhnt Jung und Älter immer mehr von wichtigen Erfordernissen. Soziale Kontakte von Angesicht zu Angesicht werden so auf den Altären der Konsum- und Medienwelt geopfert. Die reale Vereinsamung nimmt ständig zu. Das Alltagsleben wird immer stärker durch Telefon, TV und Internet getaktet. »Dauernd unter Strom und trotzdem ohne Energie« – diese Zwischenüberschrift in meinem Buch Abschied von der Spaßpädagogik bringt die Lebenswirklichkeit dieser Menschen gut auf den Punkt. ›Nur nichts verpassen wollen!‹ Bald wird ein ›ausgebranntes Selbst‹ auf der Intensivstation in verordneter Zwangs-Ruhe die Stress-Auslöser auf dem inneren Bildschirm betrachten können.
So makaber es auch klingen mag: Die Konsumgesellschaft kann ohne nach Verwöhnung süchtige Menschen nicht leben. Sie braucht die Abhängigen, damit ›der Rubel weiterrollt‹.
»Eine Schreckensvision: Hunderttausende Jugendliche versagen an den Schulen, bleiben ohne Chance auf dem Arbeitsmarkt, sind dauerhaft auf soziale Unterstützung angewiesen. Noch mehr junge Leute sind seelisch verkümmert, weil sie zu oft alleine waren, ohne intaktes soziales Umfeld aufwuchsen. Eine Vision?« 68
Mehr Schein als Sein, gescheiterte Ehen, Einzelkinder, fehlende Zeit für die Sprösslinge, Verwöhnung als Ersatz für altersgemäße Zuwendung. Eine Nation hängt am Tropf der sozialen Systeme. Materiell überversorgt und sozial-emotional unterversorgt, dies sind die Bedingungen der Wohlstandsverwahrlosung. Sobald die als unabdingbar empfundenen Lebensgüter nicht mehr in den Schoß des Nachwuchses fallen, müssen sie halt anders beschafft werden. Erpressung von Gleichaltrigen, Straßenraub und Einbruchdiebstahl stehen dann auf der Tagesordnung. Als Ausgleich für die empfundene Sinn-Leere wird diese kriminelle Energie mit etwas Randale und Gewalt garniert. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann wertet dieses Verhalten als »Notschrei« und beklagt gleichzeitig das Fehlen von Autorität.
Die Wirkung auf die Persönlichkeit
Die subtile Botschaft des Verwöhners lautet: ›Ich traue es dir nicht zu‹; ›Ich halte dich für schwach‹; ›Schau auf meine Stärke!‹ Anstelle eigenen Probierens handeln andere. »Ich mach es schon für dich«, so die nett klingende Entmündigungsofferte. Aber weder Kinder noch andere Lernende können so zu einem Zugehen auf Neues geführt werden. »Rede nicht so lang herum, wer’s nicht selber macht, bleibt dumm!« So einfach reimt ein Kinderlied diesen Zusammenhang ins Bewusstsein von Groß und Klein. Denn wer wachsen will, braucht Training zur Entwicklung von Mut und Kraft.
Hat ein Mensch wiederholt erfahren, dass Aufgabenstellungen oder lustvolle Geschehnisse für ihn arrangiert werden, wird dieser in vergleichbaren Situationen erneut auf den ›Tischlein-deck-dich-Effekt‹ setzen. Denn wer lernt, dass Erfolge ohne eigene Aktivitäten möglich sind, wird sich diesem Lebensmuster ausliefern, selbst wenn eigenes Agieren bzw. Reagieren sinnvoll oder notwendig wäre. Demnach führt eine solch falsch verstandene Hilfeleistung, letztlich jedes Anstelle-Handeln, zu ›erlernter Hilflosigkeit‹. Diese äußert sich in der Spannung von ›unbedingtem Haben-Wollen‹ bzw. ›beharrlichem Fordern‹, bei gleichzeitig ›fehlender Eigenleistung‹ oder mit Martin Seligman als »proaktive Hemmung« 69 . Hier besteht eine direkte Parallele zu den intrapsychischen Vorgängen bei der Verwöhnung.
Was aber, wenn der ›tolle Helfer‹, die immer ›einsatzbereite Helferin‹ fehlt? Ob Schulaufgaben, Zimmerordnung oder Reifenwechsel, der Verwöhnte wird außer Sauersein, Vorwürfen oder aggressiven Hilferufen nichts eigenständig zuwege bringen. Renitente Kinder, welche widerborstig ihren Bequemlichkeitsstatus verteidigen, werden mit den Jahren zu ausgewachsenen Verwöhnlingen, die davon träumen, die lästige Mühe für die Koordination des Herzschlags auch noch einem externen ›Schrittmacher‹ aufs Auge zu drücken.
Fehlendes Können ist unmittelbarer Ausdruck fehlenden Selbstvertrauens. Damit fehlen auch Mut bzw. Motivation, irgendeine Aufgabe eigenständig anzugehen, weil schon von vornherein ein Misserfolg erwartet wird. Das Ausbleiben von Erfolgen bzw. positiven
Weitere Kostenlose Bücher