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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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schlafend. Maria lag wieder still. Schließlich schlief Rosenthal tatsächlich ein. Im gleichen Moment erwachte seine Frau, öffnete die Augen und sah, dass ihr Mann selig schlummerte.
    Dieser Langschläfer!
    Sie rüttelte an seiner Schulter. Dass er verschlief, war noch nie passiert. »Du musst doch zum Dienst! Was ist denn mit dir los, Lothar?«
    Rosenthal fuhr hoch. Die sieben Sekunden Schlaf hatten ihn nicht wirklich erfrischt. Aber er wusste jetzt, dass er sich diese Schriftrolle sehr genau ansehen musste. Denn tief im Inneren seines Gedächtnisses, dort wo sich die Geheimnisse jahrelanger Lektüre ablagerten, hatte es eine Art Wiedersehen gegeben.

    Warum sind Menschen überhaupt da, fragte sich der Junge. Was soll das? Großvater, Vater, Sohn und dann noch Onkel und Tante. Wozu? Vielleicht, um die Vorräte aufzuessen, die sich in der Speisekammer befinden. Es war jedenfalls leichter, eine Frage zu stellen als eine Antwort zu bekommen. Überhaupt hatte er oft das Gefühl, seine Gedanken waren vor der Sprache auf der Flucht. Er dachte sie und erst allmählich konnte er für sie Worte finden. Er legte die Gedanken vor sich hin und sah sie an. Umhüllte sie mit hübschen Wortkleidern. Dann waren die Gedanken schon woanders.
    Jetzt zum Beispiel waren sie schon wieder auf dem Berg. Sie krabbelten an den Weinbergen hoch und Martin versuchte, zu folgen. Ein Wort hob die Hand, steinerne Frau , sagte es in ihm, verzauberte Frau , die Gedanken sausten weiter. Martin lauschte, in der Küche rumorte es. Draußen war es schon taghell. Vater hatte gestern versprochen, sie würden noch einmal ins Kloster gehen. Irgendeiner wollte etwas von ihm.
    Martin stand auf, wusch sich im Badezimmer. Als er die Küche betrat, verließen Vater und Großvater den Raum. Wir lassen dich hier, Tante Irma wird sich um dich kümmern, immer nur Männer um dich, das ist nicht gut. Tante Irma versorgt dich, wir sind am Nachmittag wieder hier.
    »Ich will aber mit«, bettelte Martin.
    »Na gut, dann komm, aber ohne Frühstück.«
    Martin atmete auf. Er hatte nichts gegen Tante Irma. Schon gar nicht, seit die Mutter gestorben war. Mutter und Tante Irma waren sich ähnlich, kein Wunder, sie waren ja Schwestern, sie sprachen sogar den gleichen, singenden Dialekt. Aber er fühlte sich wohler, wenn Männer um ihn waren. Dann gab es was zu tun. Frauen wollten immer nur, dass Kinder nichts taten, weil sie sonst krank würden.
    Die Fahrt im VW   1500 war himmlisch. Der Himmel floss als Luftzug in das eine Fenster herein und zum anderen wieder hinaus. Martin hatte sich die Erlaubnis geholt, die Scheibe herunterzukurbeln. Er legte den Ellenbogen in die Fensteröffnung und seinen Kopf darauf. Er dachte wehmütig an die tote Mutter. Sie war jeden Abend an sein Bett gekommen und hatte ihm vorgelesen. An ihre Stimme erinnerte er sich wie an fernen Glockenklang. Ihre sanften Augen glichen dem Mondschein.
    Das Kloster kam in Sicht, es sah von weitem hell und lieblich aus. Aber Martin wusste, wie düster die Innenräume waren. Fast schwarz. Nur erleuchtet von Fackeln. Wie die Hölle.
    »Du bleibst hier draußen. Du kannst im Park herumrennen. In einer Stunde holen wir dich hier ab.«
    »Ich will aber mitkommen!«
    »Na gut. Aber kämm dir die Haare! Hier ist der Kamm. Was soll Herr Rosenthal sagen, wenn er sieht, was ich für einen verwahrlosten Jungen habe!«
    »Großvater hat sich auch nicht gekämmt.«
    »Großvater hat keine Haare mehr.«
    »Aber er hat einen weißen Bart.«
    »Widersprich mir nicht immer!«
    Sie überquerten die Zufahrt, passierten das Portal mit der verschnörkelten Schrift Herzlich Willkommen im Kloster Eberbach und betraten alte Räume. Der Mann, der Rosenthal hieß, begrüßte sie dort, wo Besucher an einem Schalter Eintrittskarten kaufen konnten und wo neben bemalten Weinkrügen alte, aufgeschlagene Bücher mit verschnörkelter Schrift und bunten Zeichnungen lagen.
    »Wir gehen zu mir«, sagte er. »Ich habe Kaffee kochen lassen. Wird es für den Kleinen nicht zu langweilig?«
    »Nein«, kam Martin dem Vater zuvor.
    »Es ist wirklich aufregend, und ich bin ganz in Sorge«, sagte Rosenthal. Er ging voraus, den Gang hinunter und drehte sich beim Sprechen um. »Eine ganz merkwürdige Geschichte. Gehen wir hier entlang.«
    Als sie sich in dem Raum niederließen, in dessen Mitte ein klobiger Tisch mit mindestens zwanzig Stühlen stand, schloss eine junge Frau mit einem Glockenrock die Fenster. Sie lächelte Martin verschwörerisch zu und

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