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Die verzauberten Frauen

Die verzauberten Frauen

Titel: Die verzauberten Frauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Schulz
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verschwand.
    »Wir sind nur privat hier«, sagte der Vater. »Zu Besuch bei der Schwester meiner verstorbenen Frau. Morgen früh fahren wir zurück nach Fulda, wo mich ein unerfreulicher Fall erwartet. Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mir von der Sache erzählen wollen, lieber Rosenthal.«
    Der Klosterverwalter warf einen skeptischen Blick auf Martin, dann auch auf den Großvater.
    Der Vater verstand sofort, was Rosenthal meinte und winkte ab. »Keine Angst, sie schweigen wie Gräber.«
    »Sehen Sie«, sagte Rosenthal, »gerade darum geht es. Um ein Grab. Wir haben ein Grab ausgegraben, und gefunden haben wir es dort, wo eigentlich keines sein darf. Ich habe selten so perplexe Herren gesehen.«
    »Können wir es uns ansehen?«, fragte der Vater.
    »Vielleicht«, überlegte Rosenthal.
    »Ich bin gespannt«, sagte der Vater. Großvater und Martin blieben stumm.
    Man goss sich Kaffee ein. Die junge Frau mit dem Glockenrock kam noch einmal herein und stellte ein Glas mit Apfelsprudel vor Martin hin. Wieder lächelte sie verschwörerisch. Als die Tür hinter ihr zufiel, sagte Rosenthal mit einem Seufzen: »Ich brauche Ihre kriminalistische Intelligenz, Herr Velsmann. Stellen Sie sich vor, was Bücher machen, wenn ein Krieg ausbricht. Stellen Sie sich den Dreißigjährigen Krieg vor, wie er in die Bibliothek einbricht, mörderische Waffen, mordgierige Soldaten und unschuldige Pergamente, Opfer und Täter   …«
    Martins Gedanken schweiften ab. Wenn Erwachsene zu einer Rede ansetzten, konnte er sich einfach nicht konzentrieren.
    »…   und vor allem, stellen Sie sich eine Schriftrolle vor, über Jahrhunderte von Mönchen gehütet wie ein Schatz, auf der sich eine Endzeitprophezeiung befindet. Was geschieht?   …«
    »Eine Endzeitprophezeiung?«, fragte der mittlere Martin Velsmann mit gerunzelter Stirn.
    »Ja, Sie wissen schon, eine Apokalypse, die Verheißung des Endes der Menschheit.«
    »Das gibt es nur in der Bibel«, sagte Velsmann misstrauisch. »Bei Johannes oder so.«
    Martin wusste, dass er sitzen bleiben musste, aber in seiner Vorstellung erhob er sich doch. Er wanderte an den Regalen entlang, hinter deren Fensterglas sich endlose Buchreihen befanden. Und an der Stirnwand hingen gerahmte, ovale Bilder. Streng blickende Herren mit weißen Kragen blickten ihn an. Wahrscheinlich waren sie an Strenge gestorben. Denn dass sie tot waren, konnte er an ihren goldenen Lebensdaten ablesen, die in die Rahmen eingraviert waren. Der Mann auf dem letzten Bild hieß Eugenis Greber und war 1666 gestorben, oder hatte das Kloster verlassen, das war nicht ganz klar. Martin war eigentlich enttäuscht. Hier war es wie in der Schule. Er wusste, er musste sitzen bleiben, trat also nur im Geiste an die Fenster und erblickte draußen wogende Baumreihen, darüber rote Ziegeldächer, auf einem wehte eine Fahne, die einen Eber zeigte.
    »…   darüber hinaus waren es sieben Pergamente, gerollt und versiegelt, aufbewahrt in einem mit Edelsteinen geschmückten Sakramentskästchen. Alles ist verschwunden, die Bibliothek in alle Winde verstreut, einzelne Stücke konnten wir in der Region auftreiben, sie befinden sich jetzt in Wiesbaden. Aber neunzig Prozent bleiben verschollen. Und jetzt taucht diese Schriftrolle auf, und die Herren sind ganz elektrisiert, denn es könnte sich tatsächlich um die siebente und letzte Schrift handeln, die noch im letzten Inventarverzeichnis von 1631 aufgeführt ist. Ich habe mich kundig gemacht und bin mir inzwischen sogar ziemlich sicher. Es ist die Originalhandschrift der Zisterzienser   – oder jedenfalls dieses Reformordens, der daraus hervorging und in seiner Zeit den Untergang der Zisterzienser herbeiführen wollte. Also wenn ich richtig liege, handelt es sich um eine nervtötende Wortmeldung dieses Monstrums, das die Zisterzienser bekämpft hat.«
    »Des Monstrums?«, echote der Vater.
    Martin kehrte im Geist von seinem Ausflug durch den Raum zurück. Ein Monstrum! Endlich ein Geheimnis!
    »De Rancé. Das Monstrum«, sagte Rosenthal mit enthusiastischem Gesichtsausdruck.
    Es klopfte an der Tür. Die Sekretärin trat ein und machte ein unglückliches Gesicht. »Telefon, Herr Rosenthal.«
    »Wer ist dran?«
    »Der Herr Ministerpräsident Zinn.«
    »Ich komme!   – Bin gleich zurück, Herr Velsmann. Wir sprechen über Armand-Jean Le Bouthillier de Rancé, darauf können Sie sich freuen!«
    Als sie allein im Raum waren, dem Mönchsrefektorium, wie Vater jetzt so stolz verkündete, als gehöre

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