Die verzauberten Frauen
derart anspricht. – Übrigens: Was hat dieser Kerl vorhin von Beginen erzählt? Ingrid Kessler sei eine Begine gewesen? Sie haben so getan, als wüssten Sie das schon.«
»Quatsch! Ich weiß natürlich nicht, ob Frau Kessler eine Begine war. Aber ich weiß, wer die Beginen waren.«
»Und?«
»Was und?«
»Wer waren diese Beginen!«
»Klasse Mädels«, sagte Breitenbach. »Jederzeit zum Verlieben.«
»Kollegin, machen Sie keine billigen Scherze! Ich bin auf Hundertachtzig! Was waren Beginen!«
Breitenbach dachte einen Moment nach. Velsmann verließ die Autobahn.
»Er sagte, Frau Kessler sei eine liebende Frau gewesen. Das erinnerte mich an die Beginen, schon bevor dieser Sennsler davon gesprochen hat.«
»Ja und?«
»Diese Frauen gehörten zu einer religiösen Erneuerungsbewegung, die im 12. Jahrhundert entstand, ich habe ihre Behausungen in Brügge gesehen –«
»Ja, ja!«
Breitenbach blickte verwundert. »Das waren tief religiöse Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten, sie haben sich zu Gemeinschaften zusammengeschlossen, waren materiell dennoch meistens ungesichert, arbeiteten, um Geld zu verdienen, verschrieben sich dem Ideal der Armut, kümmerten sich um Waisen, Arme, Kranke. Und sie lehnten Gelübde und Kirchenregeln ab, deswegen wollten diese Frauen auch nicht in die Klöster eintreten. Man muss sich das als eine Art gegenseitiger Schwesternschaft in losen Lebensgemeinschaften vorstellen, außerhalb von Klöstern gab es das in jener Zeit sonst nicht. Natürlich beargwöhnte sie der Klerus. Ich glaube, sie wurden sogar verfolgt.«
»Und ihre Ziele?«
»Ein tätiges, nicht spekulatives Christentum, nichts weiter.«
»Das ist ziemlich viel. Sie müssen sich Feinde gemacht haben.«
»Natürlich. Zuverlässig.«
»Liebende Frauen, wie?«
»Tja.«
Sie erreichten die Stadtgrenze.
»Ich fahre direkt zu mir«, sagte Velsmann.
»Logisch.«
»Ich habe jetzt zwei Baustellen.«
»Ich befürchte, es sind mehr«, sagte Breitenbach leise.
Sie erreichten die Sebastianstraße. Schon als sie einbogen, sahen sie das Polizeiaufgebot.
Velsmann mochte noch nicht hineingehen. Er schickte Breitenbach vor. Sie sollte sein Spürhund sein. Velsmann rief bei Andreas Schwester an. Seine Frau war dort eingetroffen und wartete auf ihn. Er beruhigte sie.
Dann rief Velsmann im Labor an. Der Gerichtsmediziner, Dr. Claus, kam sofort ans Telefon, als habe er auf Velsmanns Anruf gewartet. Seine Stimme klang dünn.
»Was den Körper der Ermordeten angeht«, referierte er, »so zeigt sich tatsächlich, dass er bereits ohne Leben war, als man die Haut abzog. Ich will sie nicht mit den medizinischen Einzelheiten langweilen. Der Stich ins Herz war tödlich. Die Haut wurde mit einem Seziermesser abgezogen, wie es Chirurgen verwenden. Sie sollten also vielleicht Ihr Augenmerk auf einen Täter aus diesem Milieu richten, Herr Velsmann. Weiter ist zu sagen, dass die Hautproben von der Innenseite winzige Teilchen von Quarz aufweisen, was bedeutet, dass der Täter wahrscheinlich einen Schaber aus Granit benutzte, um die Haut zu glätten. Fragen Sie mich nicht, warum.«
»Ich will es gar nicht wissen«, brummte Velsmann.
»Ferner ist auffällig, dass der Torso nicht angerührt wurde, es gibt keine Spuren irgendeiner Behandlung. Es ist auch nicht zu erkennen, dass der Täter irgendeine Partie des Körpers besonders traktiert hätte, wie es beispielsweise bei einem Sexualdelikt der Fall sein würde. Die Sorgfalt und Ruhe, mit der die Haut abgezogen worden ist, verblüfft mich. Beinahe liebevoll, könnte man sagen.«
»Das lässt welche Schlüsse zu?«, unterbrach Velsmann.
»Ich bin vorsichtig. Aber eine Tat aus rasendem Hass sähe anders aus. Es gäbe Zerstörungsspuren, unnötige Einschnitte, unfreiwillige Fehlerstellen. Nein, nichts dergleichen. Der Torso der Frau Kessler wurde ganz professionell und sachlich enthäutet.«
»Von einem Fachmann«, sagte Velsmann.
»Vielleicht.«
»Eine Demonstration?«, sagte Velsmann. »Eine Art Inszenierung?«
»Daraus ziehen Sie bitte Ihre Schlüsse, Herr Inspektor«, sagte der Arzt. »Aber in diese Richtung könnte es gehen.«
»Danke Doc!«
Velsmann wählte sofort eine andere Nummer. In der Abteilung Spurensuche erreichte er Spengler nicht.
»Er ist doch bei Ihnen in der Sebastianstraße, Herr Inspektor«, belehrte ihn Sabine Brandes, Spenglers rechte Hand.
»Gibt es etwas Neues vom Tatort?«, wollte Velsmann wissen.
»Was die Fingerabdrücke angeht, nichts
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