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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Manchmal fehlte ihm zu diesen Zeiten sogar Mary Shanahan - die alte Mary, ehe ihr die Gewißheit eines Nachnamens und die unangenehme Autorität zugewachsen war, die sie mittlerweile ihm gegenüber hatte. Patrick machte das Licht aus. Während er in den Schlaf sank, versuchte er, mit Nachsicht an Mary zu denken. Die frühere Liste ihrer positivsten Merkmale fiel ihm wieder ein: ihre makellose Haut, ihre unverfälschte Blondheit, ihre vernünftige, aber sexy Kleidung, ihre perfekten kleinen Zähne. Und, vermutete Wallingford - da Mary noch immer hoffte, schwanger zu sein -, ihr Verzicht auf rezeptpflichtige Medikamente. Manchmal war sie richtig gemein zu ihm gewesen, aber die Menschen sind nun einmal nicht nur das, was sie zu sein scheinen. Schließlich hatte er sie abgeschoben. Es gab Frauen, die das sehr viel übler genommen hätten als Mary.
    Wenn man vom Teufel sprach! Das Telefon klingelte, und es war Mary Shanahan; sie weinte in den Hörer. Sie hatte ihre Tage bekommen. Sie waren mit anderthalb Monaten Verspätung gekommen - so spät, daß sie schon gehofft hatte, schwanger zu sein -, aber sie waren nun einmal gekommen.
    »Das tut mir leid, Mary«, sagte Wallingford, und es tat ihm auch aufrichtig leid - um sie. Was ihn selbst anging, verspürte er ein unverdientes Triumphgefühl; erneut war er gerade noch einmal davongekommen. »Wenn man sich vorstellt, daß ausgerechnet du mit Platzpatronen schießt!« sagte Mary unter Schluchzen zu ihm. »Ich gebe dir noch eine Chance, Pat. Wir müssen es noch mal probieren, sobald ich einen Eisprung habe.«
    »Tut mir leid, Mary«, wiederholte er. »Ohne mich. Platzpatronen hin oder her, ich habe meine Chance gehabt.«
    »Was?«
    »Du hast mich schon verstanden. Ich sage nein. Wir schlafen nicht noch einmal miteinander, egal, aus welchem Grund.«
    Mary warf ihm ein paar derbe Wörter an den Kopf, ehe sie auflegte. Doch daß sie von ihm enttäuscht war, brachte ihn nicht um den Schlaf; im Gegenteil, er hatte nicht mehr so gut geschlafen, seit er in Mrs. Clausens Armen eingedämmert und mit dem Gefühl ihrer ein Kondom abrollenden Zähne an seinem Penis aufgewacht war.
    Wallingford schlief noch fest, als Mrs. Clausen anrief. In Green Bay mochte es eine Stunde früher sein, doch der kleine Otto weckte seine Mutter regelmäßig, ein paar Stunden ehe Wallingford wach war. »Mary ist nicht schwanger. Sie hat gerade ihre Tage bekommen«, verkündete Patrick.
    »Sie wird dich bitten, es noch mal zu machen. Das würde ich jedenfalls tun«, sagte Mrs. Clausen.
    »Hat sie schon. Ich habe schon nein gesagt.«
    »Gut.«
    »Ich sehe mir dein Bild an.«
    »Ich kann mir schon denken, welches.«
    Irgendwo in der Nähe des Telefons plapperte der kleine Otto vor sich hin. Wallingford blieb einen Moment lang stumm - sich die beiden vorzustellen reichte ihm schon. Dann fragte er sie: »Was hast du gerade an? Hast du irgendwelche Kleider an?«
    »Ich habe zwei Karten für ein Montagabendspiel, wenn du mitgehen willst«, gab sie zur Antwort. »Ich will mit.«
    »Es ist Monday Night Football, die Seahawks gegen die Packers im Lambeau Field.« Mrs. Clausen sprach mit einer Ehrfurcht, die an Wallingford verschwendet war. »Mike Holmgren kommt nach Hause. Das will ich auf keinen Fall verpassen.«
    »Ich auch nicht!« erwiderte Patrick. Er wußte nicht, wer Mike Holmgren war. Er würde ein bißchen recherchieren müssen. »Es ist am ersten November. Hast du da auch wirklich Zeit?« »Habe ich!« versprach er. Er versuchte, Freude in seine Stimme zu legen, dabei brach es ihm in Wirklichkeit das Herz, daß er sie erst im November wiedersehen würde. Es war erst Mitte September! »Vielleicht kannst du vorher mal nach New York kommen«, sagte er. »Nein. Ich will dich bei dem Spiel sehen«, sagte sie. »Ich kann dir das jetzt nicht erklären.«
    »Du mußt es nicht erklären!« erwiderte Patrick rasch. »Schön, daß dir das Bild gefällt«, wechselte sie das Thema. »Ich finde es umwerfend! Ich fand es umwerfend, was du mit mir gemacht hast.«
    »Okay. Wir sehen uns dann bald«, beendete Mrs. Clausen das Gespräch - nicht einmal auf Wiedersehen sagte sie. Am nächsten Morgen, bei der Ablaufbesprechung, versuchte Wallingford den Gedanken zu verdrängen, daß Mary Shanahan sich wie eine Frau mit heftigen Menstruationsbeschwerden benahm, aber genau das war sein Eindruck. Sie begann die Besprechung damit, daß sie eine der Frauen aus dem Nachrichtenstudio herunterputzte. Die Frau hieß Eleanor und hatte, aus

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