Die vierte Hand
nachdem alle schlafen gegangen waren. Das Klebeband hatte der Mann liegenlassen, der das neue Dog-Watch-System installiert hatte, eine im Boden verlegte elektrische Barriere, die Medea am Verlassen des Gartens hindern sollte. Der unsichtbare elektrische Zaun bedeutete, daß Zajac (oder Rudy oder Irma) nicht bei dem Hund draußen sein mußten. Aber eben weil niemand bei ihr draußen gewesen war, hatte Medea das Klebeband gefunden und gefressen. Medea trug mittlerweile ein neues Halsband mit zwei nach innen, zum Hals hin, zeigenden Stiften. (Im Halsband befand sich eine Batterie.) Wenn sie die unsichtbare elektrische Barriere im Garten überschritt, bekam sie von diesen Stiften einen gewischt. Doch ehe sie einen elektrischen Schlag bekam, wurde sie gewarnt; wenn sie dem unsichtbaren Zaun zu nahe kam, gab das Halsband einen Ton von sich. »Wie hört sich der an?« hatte Rudy gefragt.
»Wir können ihn nicht hören«, erklärte Dr. Zajac. »Das können nur Hunde.« »Und wie fühlt sich der Schlag an?«
»Och, nicht schlimm - eigentlich tut er Medea gar nicht weh«, log der Handchirurg.
»Wurde es mir weh tun, wenn ich mir das Halsband anlegen und zum Garten rausgehen würde?«
»Mach das ja nicht, Rudy! Hast du verstanden?« befahl Zajac ein wenig zu aggressiv, wie es seine Art war.
»Es tut also doch weh«, sagte der Junge.
»Medea tut es nicht weh«, beharrte der Arzt.
»Hast du es denn mal an deinem Hals ausprobiert?«
»Rudy, das Halsband ist nicht für Menschen - es ist für Hunde!«
Dann hatte sich das Gespräch der Super Bowl zugewandt und warum Zajac gewollt hatte, daß Denver gewann.
Als das Telefon klingelte, verkroch sich Medea unter dem Küchentisch, doch angesichts der Nachricht von Dr. Zajacs Auftragsdienst - »Mrs. Clausen hat aus Wisconsin angerufen« - vergaß dieser den dummen Hund völlig. Der erwartungsvolle Chirurg rief die frischgebackene Witwe sofort zurück. Mrs. Clausen wußte noch nicht genau, in welchem Zustand sich die Spenderhand befand, doch Dr. Zajac war gleichwohl beeindruckt von ihrer Gefaßtheit.
Im Umgang mit der Polizei von Green Bay und dem zuständigen Arzt war Mrs. Clausen nicht ganz so gefaßt gewesen. Während sie die näheren Umstände des »vermutlichen Unfalltodes durch Schußwaffengebrauch« zu begreifen schien, zeigte ihr tränenüberströmtes Gesicht beinahe sofort den Ausdruck eines neuen Zweifels. »Ist er wirklich tot?« fragte sie. Nie hatten die Polizei und der zuständige Arzt so etwas wie ihren seltsam in die Zukunft gerichteten Blick gesehen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß ihr Mann »wirklich tot« war, hielt Mrs. Clausen nur kurz inne, ehe sie sich erkundigte: »Und wie geht es Ottos Hand? Der linken.«
6
Der Pferdefuß
Sowohl in der Green Bay Press-Gazette als auch im Green Bay News-Chronicle wurde Otto Clausens Selbsterschießung in der Berichterstattung über die Super Bowl unter Trivialitäten abgehandelt. Ein Sportreporter aus Wisconsin ließ sich zu der deplazierten Bemerkung hinreißen: »He, wahrscheinlich haben nach der Super Bowl am Sonntag eine ganze Menge Packer-Fans mit dem Gedanken gespielt, sich zu erschießen, aber Otto Clausen aus Green Bay hat tatsächlich den Abzug gedrückt.« Doch selbst in den takt- und gefühllosesten Berichten über Ottos Tod wurde dieser nicht ernsthaft als Selbstmord bezeichnet. Als Patrick Wallingford zum erstenmal von Otto Clausen hörte - er sah den anderthalb Minuten langen Bericht auf seinem eigenen internationalen Kanal in seinem Hotelzimmer in Mexiko -, fragte er sich flüchtig, warum Dick, dieser Dicktuer, ihn nicht losgeschickt hatte, um die Witwe zu interviewen. Es war genau die Art von Geschichte, auf die er normalerweise angesetzt wurde.
Aber der Nachrichtensender hatte Stubby Farrell, seinen alten Sportreporter, der bei der Super Bowl in San Diego gewesen war, hingeschickt. Stubby war schon oft in San Diego gewesen, und Patrick Wallingford hatte noch nicht einmal eine Super Bowl im Fernsehen gesehen. Als Wallingford an jenem Montagmorgen die Nachrichten sah, beeilte er sich bereits, sein Hotel zu verlassen, um seinen Flug nach New York noch zu erwischen. Er bekam kaum mit, daß der Bierwagenfahrer eine Witwe hatte. »Mrs. Clausen stand für einen Kommentar nicht zur Verfügung«, berichtete der alte Sportreporter.
Mir hätte sie zur Verfügung gestanden, dafür hätte Dick schon gesorgt, dachte Wallingford, während er seinen Kaffee hinunterstürzte; doch sein Verstand registrierte
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