Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
daß sie schwanger war und so ehrfürchtig mit ihrer Schwangerschaft umging, wie es Frauen tun, die lange darauf gewartet haben, schwanger zu werden. Auch hatte Mrs. Clausen nicht den geringsten Zweifel, daß dies ein Einzelkind bleiben würde.
    Ihr so überaus verlockender Ton, auf den sie nach Belieben zurückgreifen konnte und der die gleiche Wirkung hatte wie Sonnenlicht nach Regen - die Macht, Blumen zu öffnen -, war nur mehr Erinnerung; doch Wallingford glaubte, warten zu können. Er klammerte sich an diese Erinnerung wie an ein Kissen im Schlaf, ähnlich wie er sich immer und immer wieder an den Blaue-Kapsel-Traum erinnern mußte. Nie hatte Patrick Wallingford eine Frau so selbstlos geliebt. Es genügte ihm, daß Mrs. Clausen seine linke Hand liebte. Sie liebte es, die Hand auf ihren dick gewordenen Bauch zu legen, sie die Bewegungen des Fötus spüren zu lassen.
    Wallingford war nicht aufgefallen, wann Mrs. Clausen aufgehört hatte, das Schmuckstück in ihrem Nabel zu tragen; er hatte es seit ihrem gemeinsamen Moment der Selbstvergessenheit in Dr. Zajacs Sprechzimmer nicht mehr gesehen. Vielleicht war das Body-Piercing Ottos Idee gewesen, oder das Ding war ein Geschenk von ihm (und sie mochte es deshalb nicht mehr tragen). Oder aber der nicht näher identifizierte Metallgegenstand war ihr im Verlauf ihrer Schwangerschaft unbequem geworden.
    Dann, im siebten Monat, spürte Patrick - nach einem besonders kräftigen Tritt des ungeborenen Kindes - ein ungewohntes Stechen in seinem neuen Handgelenk und versuchte, seinen Schmerz zu verbergen. Doris bekam natürlich mit, wie er zusammenzuckte; ihr konnte er nichts verheimlichen.
    »Was ist denn?« Instinktiv schob sie die Hand an ihr Herz - an ihre Brust, wie Wallingford es wahrnahm. Als wäre es gestern gewesen, entsann er sich, wie sie seinen Stumpf dort festgehalten hatte, während sie ihn bestieg.
    »Es war bloß ein leichtes Stechen«, erwiderte Patrick. »Ruf Zajac an«, forderte Mrs. Clausen. »Mach keinen Quatsch.« Aber es war alles in Ordnung. Dr. Zajac schien angesichts des vermeintlich leichten Erfolges der Handtransplantation verärgert zu sein. Anfangs hatte es ein Problem mit Daumen und Zeigefinger gegeben - Wallingford hatte seine Muskeln nicht dazu bringen können, sie auf Befehl zu bewegen. Aber das lag nur daran, daß er fünf Jahre lang weder Hand noch Handgelenk gehabt hatte - seine Muskeln mußten einiges erst wieder lernen.
    Zajac hatte keine Krisen zu bewältigen gehabt; die Hand hatte ebenso unaufhaltsam Fortschritte gemacht wie die Pläne, die Mrs. Clausen damit hatte. Vielleicht lag die eigentliche Ursache für Dr. Zajacs Enttäuschung darin, daß die Hand eher zum Triumph für sie als für ihn geriet. Die eigentliche Nachricht war, daß die Witwe des Spenders ein Kind erwartete und nach wie vor eine Beziehung zur Hand ihres verstorbenen Mannes unterhielt. Und für Wallingford setzten sich niemals die Bezeichnungen »der Typ mit der neuen Hand« oder »der Mann mit der neuen Hand« durch - er war »der Löwenmann« und »der Katastrophenmann« und würde es auch bleiben.
    Dann wurde im September 1998 in Lyon eine erfolgreiche Hand- und Unterarmtransplantation durchgeführt. Empfänger war Clint Hallam, ein in Australien lebender Neuseeländer. Zajac schien auch darüber verärgert.
    Dazu hatte er auch allen Grund. Hallam hatte gelogen. Er hatte seinen Ärzten erzählt, er habe seine Hand bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle verloren, doch wie sich herausstellte, war ihm die Hand in einem neuseeländischen Gefängnis, wo er zweieinhalb Jahre wegen Betruges verbüßte, von einer Kreissäge abgetrennt worden. (Dr. Zajac fand natürlich, daß die Entscheidung, einem Exhäftling eine neue Hand zu geben, nur von einem Medizinethiker getroffen worden sein konnte.) Vorläufig nahm Clint Hallam über dreißig Tabletten pro Tag und zeigte keinerlei Anzeichen einer Abstoßung. Wallingford seinerseits nahm acht Monate nach seiner Operation ebenfalls noch immer über dreißig Tabletten pro Tag, und wenn er sein Kleingeld fallen ließ, konnte er es mit Ottos Hand nicht aufheben. Ermutigender fand das Bostoner Team, daß seine linke Hand, obwohl er in den Fingerspitzen kein Gefühl hatte, fast so stark war wie seine rechte; jedenfalls konnte Patrick einen Türknauf so weit drehen, daß die Tür aufging. Doris hatte ihm erzählt, daß Otto ziemlich stark gewesen war. (Zweifellos vom Heben der vielen Bierkästen.)
    Gelegentlich schliefen Mrs.

Weitere Kostenlose Bücher