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Die vierte Hand

Die vierte Hand

Titel: Die vierte Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aufzuwecken.
    Seine linke Hand zuckte, aber Schmerzen verspürte er nicht mehr. Wallingford lag still und wartete ab, was seine neue Hand als nächstes tun würde. Später erinnerte er sich daran, daß die Hand ganz von selbst unter den Saum von Doris' Nachthemd schlüpfte - die gefühllosen Finger glitten ihre Oberschenkel hinauf. Auf ihre Berührung hin schoben sich ihre Beine auseinander, ihr Schoß öffnete sich, ihr Schamhaar strich, wie von einer nicht zu spürenden Brise aufgerichtet, gegen den Handteller von Patricks neuer linker Hand.
    Er wußte, wohin seine Finger gingen, obwohl er sie nicht spürte. Die Veränderung in Doris' Atmung war offensichtlich. Er konnte nicht anders - er küßte ihre Stirn, schnoberte in ihrem Haar. Dann ergriff sie seine forschende Hand und führte seine Finger an ihre Lippen. Mit der anderen Hand faßte sie nach seinem Penis; dann ließ sie ihn abrupt los. Falscher Penis! Der Zauber war gebrochen. Mrs. Clausen war hellwach. Beide konnten sie die Finger von Ottos bemerkenswerter linker Hand riechen - sie lag auf dem Kissen, berührte ihre Gesichter. »Ist der Schmerz weg?« fragte Doris ihn.
    »Ja«, antwortete Patrick. Er meinte damit nur, daß die Hand nicht mehr schmerzte. »Aber dafür ist da jetzt ein anderer Schmerz, ein neuer...«, begann er.
    »Dabei kann ich dir leider nicht helfen«, erklärte Mrs. Clausen. Doch als sie ihm den Rücken zuwandte, hielt sie seine linke Hand sanft an ihrem dicken Bauch fest. »Wenn du dich selbst anfassen willst - du weißt schon, während du mich festhältst -, ein bißchen kann ich dir ja vielleicht doch helfen.«
    Tränen der Liebe und Dankbarkeit schossen Patrick in die Augen. Was für eine Form von Schicklichkeit war hier erforderlich? Nach Wallingfords Empfinden wäre es das Anständigste, wenn er mit Masturbieren fertig sein könnte, ehe er das Baby treten spürte, doch Mrs. Clausen hielt seine linke Hand fest an ihren Bauch - nicht ihre Brust - gedrückt, und ehe Patrick kommen konnte, was er ungewöhnlich rasch tat, trat das ungeborene Kind zweimal. Das zweite Mal rief genau das gleiche schmerzhafte Stechen hervor, das er schon einmal verspürt hatte, einen so heftigen Schmerz, daß er zusammenzuckte. Diesmal bemerkte Doris es nicht, oder sie verwechselte es mit dem plötzlichen Schauder, mit dem er kam.
    Am besten aber war, dachte Wallingford später, daß Mrs. Clausen ihn dann mit ihrer besonderen Stimme belohnte, die er schon lange nicht mehr gehört hatte.
    »Schmerzen weg?« fragte sie. Die Hand glitt, wiederum ganz von selbst, von ihrem gewaltigen Bauch zu ihrer prallen Brust, wo Doris sie liegen ließ.
    »Ja, danke«, flüsterte Patrick und fiel in einen Traum. Da war ein Geruch, den er zuerst nicht erkannte, weil er ihm so unvertraut war, ein Geruch, den man in New York oder Boston niemals wahrnimmt. Kiefernnadeln! ging ihm plötzlich auf.
    Da war das Geräusch von Wasser, aber nicht das Meer und auch nicht das Tropfen eines Wasserhahns. Es war Wasser, das gegen den Bug eines Bootes plätscherte - vielleicht auch gegen einen Steg klatschte -, doch ganz gleich, was für Wasser, es war Musik für die Hand, die sich selbst so sanft wie Wasser über die vergrößerten Konturen von Mrs. Clausens Brust bewegte.
    Das Stechen (und sogar Patricks Erinnerung daran) war verschwunden, und in der Folge fand er den tiefsten Nachtschlaf seines Lebens; beim Aufwachen beunruhigte ihn lediglich der Gedanke, daß der Traum irgendwie nicht ganz sein eigener gewesen war. Und er war seinem Blaue-Kapsel-Erlebnis nicht so ähnlich, wie ihm das lieb gewesen wäre. Zunächst einmal war in dem Traum weder Sex vorgekommen, noch hatte Wallingford die Sonnenwärme in den Brettern des Stegs oder, durch das Handtuch hindurch, den Steg selbst gespürt; statt dessen hatte er nur das vage Gefühl gehabt, irgendwo anders sei ein Steg. In jener Nacht hörte er im Schlaf keinen Kameraverschluß. In jener Nacht hätte man Patrick Wallingford tausendmal fotografieren können. Er hätte es gar nicht gemerkt.

8
Abstoßung und Erfolg
    Als Doris davon sprach, ihr Kind solle seine oder die Hand ihres Mannes kennenlernen, war Wallingford das durchaus recht. Für ihn bedeutete es einfach, daß er damit rechnen durfte, sie weiterhin zu sehen. Er liebte sie mit immer geringerer Hoffnung auf ihre Gegenliebe, die doch einzig und allein der Hand galt. Sie drückte sie an ihren Bauch, gegen die unaufhörlichen Tritte des ungeborenen Kindes; zwar spürte sie bisweilen, wie

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