Die vierte Schlinge: Thriller (German Edition)
Abschätzung des Todeszeitpunkts benützen.
Diane nahm Grün auf die gleiche Weise das Seil ab, wie sie es zuvor schon beim ersten Opfer getan hatte. Raymond fotografierte auch dieses Mal den Vorgang genau. Grün war in genau der gleichen Weise gefesselt worden wie Blau: Die Hände waren auf dem Rücken durch einen Handfesselknoten zusammengebunden, wobei das stehende Ende des Seils in einer Schlinge um den Hals und die Festmacheleine vier Mal um die Handgelenke des Opfers gewickelt und danach das Ende durch die Schlingen hindurchgesteckt worden waren.
Die Schlinge war genauso geknüpft worden wie beim ersten Opfer: ein Palstek, durch den dann das Seil gezogen wurde, um eine Schlaufe zu bilden, die sich unter Belastung festzog. Diane hatte auch nicht erwartet, dass sich die Knoten unterscheiden würden. Sorgfältig verpackte und etikettierte sie das Seil.
»Ich habe mich gefragt, ob Sie mich gelegentlich in eine Höhle mitnehmen würden«, sagte Lynn. »Eine einfache Höhle für einen blutigen Anfänger.«
»Neva möchte auch einmal mitkommen. Auch sie hat das noch nie gemacht.«
Lynn grinste. »Ich mochte schon immer Höhlen, unterirdische Seen und so etwas. Einer meiner Lieblingsfilme ist Die Reise zum Mittelpunkt der Erde. Mir gefiel vor allem der unterirdische See.«
»Die Höhlenforschung ist gewöhnlich nicht ganz so aufregend«, sagte Diane. Raymond und Lynn lachten.
»Sie würden mich nie dazu kriegen, in so ein schwarzes Loch hinabzusteigen«, sagte Raymond. »Ich habe schon von zu vielen Leuten gehört, die dort unten steckengeblieben sind. Man verstaucht sich den Knöchel, und schon ist es ein Riesenaufwand, einen wieder an die Oberfläche zu bringen.«
»Man lernt, aufzupassen«, sagte Diane. »Außerdem hilft es, wenn man seine Seile und Knoten kennt.«
»Ich glaube, man hat ihm den Blinddarm entfernt«, sagte Lynn. Sie rieb die entsprechende Körpergegend mit einem feuchten Stück Gaze ab. »Machen Sie ein Bild davon, Raymond. Musste man Sie jemals aus einer Höhle herausholen?«, fragte sie Diane.
»Nein, aber ich war schon einmal Mitglied eines Rettungsteams. Es kann da schon recht brenzlige Situationen geben.« Diane sicherte auf der Körperoberfläche einige Insekten, während Lynn und Raymond die äußere Untersuchung des Leichnams fortsetzten.
Grün war ein Mann. Er war größer als die Frau, aber das war unter diesen Umständen schwer festzustellen. Diane musste später seine Knochen genau vermessen. Jetzt betrug seine Dehnungslänge von Kopf bis Fuß ganze zwei Meter zweiundsechzig!
»Außer der Blinddarmnarbe gibt es keine sichtbaren äußeren Kennzeichen. Es sind keine Nadeleinstiche oder Anzeichen von Wunden sichtbar, die er sich bei einer Selbstverteidigung zugezogen haben könnte.« Lynn sprach in ihr Tonbandgerät mit einer monotonen Stimme, die sich sehr von ihrer normalen Sprechstimme unterschied.
Lynn schickte Diane diesmal während der eigentlichen Autopsie nicht nach draußen. Diane blieb und sammelte weitere Insektenproben.
Am Tatort und auf den Körpern war fast die gesamte übliche Palette von Insekten zu finden gewesen – Insekten, die sich von Fleisch ernähren, und Insekten, die sich wiederum von fleischfressenden Insekten ernähren. Die einzige Art, die Diane bislang nicht gefunden hatte, waren Laufkäfer, die getrocknetes Fleisch fressen. Das ganze getrocknete Fleisch hing ja auch die ganze Zeit über außerhalb ihrer Reichweite.
Lynn führte den Y-Schnitt durch und klappte dann die Gewebelappen zurück, was den Verwesungsgeruch im Raum stark zunehmen ließ. Lynn war eine zierliche Person, die neben dem großen Obduktionstisch fast ein wenig zerbrechlich wirkte. Trotzdem war es für sie überhaupt kein Problem, das Brustbein zu entfernen, um dadurch Zugang zu den inneren Organen zu bekommen.
»Also wirklich«, stöhnte sie. »Frische Körper sind mir wirklich bedeutend lieber.«
Diane konnte ihr nur zustimmen, als sie beobachtete, wie Lynn und Raymond die Schlüsselbein- und die Halsschlagader zu lokalisieren suchten.
»Los, binden Sie sie ab, Raymond – wenn Sie es schaffen. Der innere Erhaltungszustand dieser Leiche ist bedeutend schlechter als der des ›blauen‹ Mädchens. Wir sollten jetzt die Organe herausnehmen. Diane, Sie dürfen alle Insekten einsammeln, die Sie finden.«
Raymond führte die meisten Schnitte aus, die zum Entfernen der Organe nötig waren. Danach legte er diese auf den anderen Autopsietisch, damit Lynn sie dort untersuchen
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