Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
Vom Netzwerk:
Bass. Wieder öffnete sich der Truhendeckel, und diesmal blickte Augustin in ein Gesicht, das ihm merkwürdig vertraut vorkam. Der Mann direkt über ihm trug einen pechschwarzen Vollbart und eine ebenso dunkle Mähne, die von einer Biberpelzmütze gekrönt war. Zwei wache Augen über einer rübenartigen Nase blinzelten Augustin verdutzt an.
    »
Good gracious
!«, entfuhr es dem Mann. »Wenn das nicht der gute von Küffen ist! Was, verflucht nochmal, tut Ihr in meiner Gewürzkiste?«

    Eine halbe Stunde später kauerten Augustin und Sophie in der niedrigen Kapitänskajüte und nippten an ihren Bechern mit heißem Grog. Über ihnen baumelte von der Decke eine flackernde Messinglaterne, Eisschollen schlugen regelmäßig gegen die Planken des Schiffs.
    Augustin trug mittlerweile einen Verband an seinem rechten Oberarm; die Stichwunde, die ihm der Fremde zugefügt hatte, war glücklicherweise nicht tief und würde schon bald verheilen. Ihm gegenüber saß der Eigner des Schiffes, ein Bär von einem Mann, der auch hier im Warmen seine Pelzmütze nicht abnahm. Nachdenklich musterte der etwa fünfzigjährige Hüne den Anwalt, der soeben ein drittes Mal hatte erzählen müssen, was ihm am Hafen widerfahren war. Augustin hatte ihm zudem in aller Kürze vom damaligen Prozess zwischen Agnes Imhoff und dem englischen Tuchhändler Richard Charman sowie von seiner und Sophies Entdeckung im Kölner Archiv berichtet.
    »Augustin, Augustin«, brummte der Mann schließlich mit leicht englischem Akzent. »Hab ich Euch damals in Bologna nicht schon gewarnt, dass Ihr gelegentlich Gerechtigkeit mit Dummheit verwechselt? So wie es aussieht, habt Ihr nichts dazugelernt. Ihr lasst Euch immer noch auf politische Angelegenheiten ein, die zu groß für einen kleinen Kölner Anwalt sind.«
    »Und Ihr habt offensichtlich umgesattelt und Euch statt der Gerechtigkeit nun dem weit gewinnbringenderen Handel verschrieben«, erwiderte Augustin augenzwinkernd.
    Der bärtige Mann winkte ab. »
For heaven’s sake,
ich bin noch immer Anwalt! Aber das ständige Rumsitzen in staubigen Kanzleien tut mir nicht gut. Es macht fett und bequem. Also handle ich von Zeit zu Zeit mit Kolonialwaren. Das bringt die beste Rendite.«
    Augustin von Küffen lächelte und blickte auf den massigen Leib seines alten Freundes. Er kannte Henry Mills bereits seit seiner Studienzeit in Bologna. Mills war damals ein aufstrebender Londoner Advokatensohn gewesen, der selbst die juristische Laufbahn eingeschlagen hatte. Er galt als äußerst ehrgeizig und sprach neben Englisch auch fließend Deutsch, Französisch und Italienisch. Auf der anderen Seite war Mills schon damals ein Lebemann gewesen, der die Juristerei eher wie ein Spiel betrieben hatte. Augustin musste insgeheim zugeben, dass die Pelzkappe, der wallende brokatene Mantel und die exquisite Einrichtung der Kapitänskajüte weitaus besser zu Mills passten als Barett, Talar und staubige Studierzimmer. Dass ihm der alte Freund in der Stunde der größten Not beigesprungen war, kam Augustin wie eine Fügung des Schicksals vor.
    »Und Ihr glaubt wirklich, dass dieser Galgenvogel Euch aufgelauert hat, weil Ihr diesen alten Fall wieder aufgerollt und die Briefe im Archiv gefunden habt?«, fragte der englische Anwalt.
    Augustin nickte nachdenklich. »Ich habe es zuerst auch bezweifelt«, erwiderte er. »Aber was für einen anderen Grund könnte es geben? Die europäischen Königshäuser haben massiv in den Prozess eingegriffen. Gut möglich, dass sie auch zwanzig Jahre später nicht wollen, dass dies ans Licht kommt.«
    »Wahrscheinlich haben diese Leute auch meinen Vater auf dem Gewissen, weil er davon Wind bekommen hat«, warf Sophie ein und wickelte sich fröstelnd in das Wolltuch, das ihr Mills gegeben hatte. »Das würde auch seinen seltsamen Tod am Rhein damals erklären.«
    »Pah!« Mills griff in eine Schüssel mit Nüssen auf dem Tisch und begann, sie geräuschvoll zu knacken. »Glaubt Ihr wirklich, die Königshäuser scheren sich darum, was irgendein lausiger Advokat nach einer Ewigkeit ans Licht zerrt?« Er schüttelte den Kopf und zerdrückte eine besonders große Walnuss zwischen seinen Pranken. »Von Küffen, denkt nach! Es ist nicht unüblich, dass Monarchen in Prozessen große Summen springen lassen. Ihr mögt das Bestechung nennen, nun gut. Aber findet
ein
Gericht, das sich in einem solchen Fall gegen den deutschen Kaiser ausspricht! Eines!« Der englische Anwalt lachte laut auf und begann mit Genuss zu essen.

Weitere Kostenlose Bücher