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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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auf die Folter zu spannen.
    »Ich muss Euch leider mitteilen, dass Richard Charman nicht mehr lebt«, sagte er schließlich. »Vermutlich schmachtet er gerade in Dantes siebtem Kreis der Hölle. Der arme Kerl wurde nämlich schon vor einiger Zeit in England als Ketzer hingerichtet.«
    Eine Zeit lang sagte keiner an Bord etwas.
    »Er wurde
was
?«, entfuhr es schließlich Sophie.
    Henry Mills grinste breit. »Charman wurde den Flammen überantwortet. Soweit ich mich erinnere, hat man versucht, ihm widersprüchliche Aussagen zum christlichen Weltbild nachzuweisen, sprich: Er galt als Protestant. Aber hinter vorgehaltener Hand munkelte man, er habe vom Königshaus irgendeine Ausgleichszahlung erpressen wollen.«
    »Er hatte Köln noch vor der Urteilssprechung verlassen«, überlegte Augustin und musste sich dabei am Mast abstützen, um nicht jeden Moment umzukippen. »Wenn Charman damals schon als Ketzer verurteilt worden ist, dann heißt das …«
    Mills’ Grinsen wurde noch eine Spur breiter. »Na bitte, ich gratuliere Euch!«, tönte er. »Es ist bestimmt noch eine Menge Papierkram vonnöten, zum Beispiel ein
Mandatum inhibitorium obreptivae et nulliter,
aber ansonsten …«
    »Kann mir einer der Herren vielleicht erklären, was das alles hier soll?«, unterbrach ihn Sophie ungehalten. »Diese Sprache mögen zwei Advokaten verstehen, aber nicht ein einfaches Weib.«
    »Nun, es bedeutet …«, begann Augustin zögerlich und hielt ihre Hand. Er zitterte leicht, und das hatte nichts mit der Kälte zu tun. »Also, wenn Mills mit seiner Nachricht Recht hat, bedeutet es, dass ein Ketzer im Prozess gegen deine Mutter stand. Und ein Ketzer kann niemals einen weltlichen Prozess gewinnen.«
    Sophies Mund stand weit offen. »Er … kann nicht gewinnen?«, flüsterte sie. »Soll das heißen, dass …?«
    Mills nickte. »Es bedeutet, dass man Eurer Mutter ihren Besitz zurückgeben muss. Ein Ketzer kann keinen Prozess gewinnen! Somit sind alle Verhandlungen, die er jemals geführt hat, nichtig.« Er machte eine leichte Verbeugung. »Ich gratuliere, meine Dame. Die
Wolkenburg
gehört wieder Euch.«
    Erst im letzten Augenblick sah Augustin, wie Sophie zur Seite kippte. Er fing sie in seinen Armen auf, wo sie erst nach einigen Sekunden wieder die Augen aufschlug.
    »Die
Wolkenburg
«, flüsterte sie. »Wir … wir können wieder zurück?« Fest presste sie sich an Augustin. »Sag, dass dies kein Traum ist.«
    Augustin lächelte. Zum ersten Mal war aus Sophies Augen all das Verbissene der letzten Monate verschwunden. Sie war jetzt wieder ganz das Mädchen, das sie vor zwanzig Jahren gewesen war.
    Ein Mädchen und gleichzeitig eine reife Frau,
dachte Augustin.
Meine Frau.
    »Vielleicht war ja alles zuvor nur ein böser Traum«, sagte er leise. »Und wir sind erst jetzt wieder erwacht.«
    Dann küsste er sie so lange auf den Mund, bis sich Mills und die Seeleute grinsend zur Seite drehten.

    Es sollte noch einige Zeit vergehen, bis Sophie ihre Mutter in die guten Neuigkeiten einweihen durfte.
    Augustin hatte sie gebeten, so lange zu warten, bis er die juristischen Feinheiten vollends geklärt hatte. Erneut galt es, Akten zu wälzen und zahlreiche Behördengänge hinter sich zu bringen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erhielt Augustin endlich Nachricht aus England, dass Henry Mills tatsächlich Recht gehabt hatte. Richard Charman war vor Jahren als Ketzer verbrannt worden, die Hintergründe dieses Urteils konnten nie ganz geklärt werden. Augustin vermutete, dass der Londoner Tuchhändler sich mit dem Teufel in Gestalt der englischen Krone angelegt hatte. Wenn sich tatsächlich die Königin damals höchstpersönlich des Falles Imhoff angenommen hatte, war es gut möglich, dass Charman ebenfalls geopfert worden war, weil er zu viel wusste. Vielleicht hatte er begonnen, Fragen zu stellen, hatte mit dem Feuer gespielt und war buchstäblich darin umgekommen.
    Mit dem Brief aus London und einigen anderen Akten in der Tasche klopfte Augustin schließlich an einem frostigen Februarmorgen an der Pforte des Beginenkonvents in der Severinstraße an. Es dauerte eine Weile, bis die greise Äbtissin Agnes in den Kreuzgang führte und sie dann mit ihm alleine ließ.
    Nachdenklich musterte Augustin sie. Agnes Imhoff war alt geworden, mittlerweile musste sie weit über fünfzig sein, tiefe Falten hatten sich in ihr weiches Gesicht gegraben. Agnes’ einst braune schulterlange Haare waren von grauen Strähnen durchzogen, ihre Haltung wirkte müde.

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