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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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Trotzdem zeichneten sich unter dem schlichten Gewand noch immer weiblich runde Formen ab. Und auch ihre Augen hatten nichts von dem Glanz verloren, mit dem sie vor über zwanzig Jahren halb Köln betört hatte.
    Es sind die gleichen Augen, die auch Sophie hat,
dachte Augustin.
Wird meine Frau ebenso aussehen, wenn sie irgendwann in der Wolkenburg unsere Enkel in den Schlaf singt?
    »Augustin, was für eine Überraschung, Euch hier ohne meine Tochter zu sehen! Sagt nur nicht, Ihr habt Euch mit meiner Sophie verkracht?«
    Agnes’ warme Stimme riss Augustin aus seinen Gedanken. Schon mehrmals hatte er in den letzten Wochen gemeinsam mit Sophie deren Mutter im Konvent besucht. Im Gegensatz zu ihrer Tochter schien Agnes Imhoff ihr Haus, die
Wolkenburg,
längst aufgegeben zu haben, stattdessen lebte sie in einer Welt der Stille und des Gebets. Doch die Besuche des Anwalts hatten ihr stets ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Offensichtlich fühlte Agnes Imhoff, dass zwischen ihm und ihrer Tochter etwas gewachsen war.
    Augustin schmunzelte und reichte der Witwe die Hand. »Seid unbesorgt«, erwiderte er. »Eure Tochter kann zwar manchmal ziemlich störrisch sein, aber für einen Krach besteht derzeit kein Anlass. Im Gegenteil.« Er machte eine kleine Pause, bevor er fortfuhr. »Ich möchte Euch gerne zu einer kleinen Spazierfahrt durch die Stadt einladen. Erweist Ihr mir die Ehre?«
    Agnes Imhoff stutzte, dann begann sie lauthals zu lachen. Einen kurzen Augenblick schimmerte wieder die frühere Händlergattin durch, die auf den Empfängen in der
Wolkenburg
die Gäste, insbesondere die Männer, verzaubert hatte.
    »Eine Spazierfahrt?«, fragte sie schließlich müde lächelnd. »Wisst Ihr, wann ich das letzte Mal dieses Kloster verlassen habe? Das ist über ein Jahr her!« Ihr Blick ging plötzlich ins Leere. »Es tut mir nicht gut, in die Stadt zu fahren. Es weckt … böse Erinnerungen.«
    »Diesmal nicht. Das verspreche ich Euch.« Augustin nahm sie an der Hand und führte sie hinaus durch die Klosterpforte, wo bereits eine Kutsche mit zwei schnaubenden Pferden auf sie wartete. Zögernd blieb Agnes Imhoff stehen.
    »Das macht ja beinahe den Eindruck einer Entführung«, murmelte sie. Mit sanftem Druck bugsierte der Anwalt Agnes in die überdachte Kutsche. Drinnen lagen einige warme Decken und Pelze bereit. Augustin schloss die Tür und gab dem Kutscher ein Zeichen loszufahren.
    »Vertraut mir«, beruhigte er Agnes. »Es ist alles in Ordnung. Eure Tochter möchte Euch nur etwas zeigen.«
    Schweigend ließ sich die Witwe in den gepolsterten Sitz sinken und starrte vor sich hin. Derweil rumpelte die Kutsche durch die Gassen Kölns, vorbei an stinkenden Misthaufen und halbgefrorenen gelblichen Pfützen. Kleine Kinder in zerfetzten Kitteln warfen dem prunkvollen Gefährt Eisklumpen hinterher, räudige Hunde liefen kläffend mit den Pferden um die Wette. Dann wurden die Häuser größer und weißer, der Lärm der Gosse blieb mehr und mehr zurück.
    Neugierig beugte sich Agnes nach vorne und lugte aus dem Fenster. Sofort ließ sie sich wieder zurückfallen und funkelte Augustin wütend an.
    »Von Küffen, sagt, dass das nicht wahr ist!«, zischte sie. »Ihr fahrt direkt zur
Wolkenburg
! Jahre habe ich gebraucht, um jede Erinnerung daran in mir zu tilgen. Warum tut Ihr mir das an?«
    Augustin hob beruhigend die Hand. »Wie gesagt, Eure Tochter will Euch sehen. Sie würde sich freuen, wenn Ihr mit ihr am Kamin ein Glas heißen Gewürzwein trinken würdet. So wie früher.«
    »Kamin? Gewürzwein? Was … was soll das?«
    Die Kutsche hatte mittlerweile angehalten. Augustin öffnete die Tür und half der wie versteinert wirkenden Agnes hinaus.
    Vor ihnen lag die
Wolkenburg
.
    Das Anwesen in der Sternengasse hatte in den letzten Jahren mehrmals den Besitzer gewechselt, die einst weiße Tünche war an einigen Stellen abgebröckelt. Aber noch immer strahlte das Haus jene Pracht aus, die ihm schon vor über zwanzig Jahren innegewohnt hatte. Der Garten war gepflegt, in der Mitte des teils zugefrorenen Karpfenteichs stand die lächelnde Statue einer Nymphe.
    Sophie wartete oben an der offenen Eingangstür und winkte Agnes Imhoff lächelnd mit dem Schlüssel.
    »Willkommen zu Hause, Mutter«, sagte sie. »Es ist Zeit heimzukehren.«
    Sämtliche Farbe war plötzlich aus Agnes Imhoffs Gesicht gewichen. Sie musste sich an Augustin festhalten, während sie langsam die Stufen hoch zu ihrer Tochter schritt.
    »Sophie …«, sagte sie leise. »Du

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