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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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empfunden und ihn daher streng ermahnt hatte. An die Frau jenes beleibten Händlers entsann sich Charman ebenso gut. Sie hatte ihren Gatten des Öfteren mit spitzem Ellbogen angestoßen, als er sich wieder einmal angeschickt hatte wegzunicken, und war sein genaues Gegenteil. Ihr dürrer Leib hätte gewiss dreimal in dem seinigen Platz gefunden. Auch der prächtig gewandete Jüngling mit dem schiefen Maul, der Sohn eines reichen Kölner Apothekers, wie ihm Anwalt Bellendorf erklärt hatte, war gestern im Gerichtssaal gewesen.
    Charman ließ den Löffel in die halb geleerte Schale fallen und nahm einen kräftigen Schluck Bier.
    Er hatte den Krug noch nicht abgesetzt, da öffnete sich die Tür und Helmbert Bellendorf trat ein, seine rindslederne Dokumentenmappe unter den linken Arm geklemmt. Anlässlich des bevorstehenden zweiten Prozesstages bereits in den feinsten Zwirn seiner Zunft gewandet, spähte er ins Halbdunkel des Schankraumes. Ihre Blicke begegneten sich, und der Anwalt nickte Charman kurz zu, bevor er die Tür schloss. Die Geräusche des Marktplatzes verstummten. Bellendorf kam zu Charman an den Tisch, zog einen Stuhl heran und nahm Platz. Bevor er jedoch nur einen Satz sagen konnte, erschien der Wirt und fragte dienstbeflissen: »Was darf es sein, hochverehrter Herr Advokat?«
    »Nichts«, entgegnete der Anwalt entnervt und machte dabei eine abfällige Handbewegung, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. »Ich brauche meine Sinne heute und verspüre weder Hunger noch Durst.«
    »Sehr wohl, Herr Advokat. Ganz wie es Euch beliebt.«
    Mit skeptischem Blick sah Bellendorf dem beleibten Mann nach, dann wandte er sich Charman zu und betrachtete ihn prüfend.
    »Gott zum Gruße. Verzeiht, aber Ihr wirkt recht angespannt.«
    Charman lächelte und bemerkte zynisch: »Eure Beobachtungsgabe allein muss es gewesen sein, die Euch zum Stand eines renommierten Advokaten verholfen hat.«
    »Beruhigt Euch, Herr Charman. Ich habe es nicht böse gemeint. Eure Sorge ist unberechtigt, denn wir sind bestens vorbereitet. Dem Gericht liegen die
corpi delicti
als Beweise vor, die Vergleichsproben beider Tuche. Nur ein Blinder wäre in der Lage zu behaupten, dass Euer gelieferter feiner Stoff auch nur eine Faser mit dem verschimmelten Fetzen gemein habe, den Euch Imhoff zurück nach Antwerpen schickte.«
    »Imhoff!« Charman verzog angewidert sein Gesicht. »Ich hoffe, das Gericht ist davon genau so überzeugt wie Ihr und ich.«
    »Es ist doch weiß Gott nicht Euer erster Rechtsstreit, und unsere Karten sind nicht die schlechtesten«, entgegnete Bellendorf gelassen.
    »Ihr habt gut Reden. Es ist ja nicht Euer Geld.«
    »In der Tat, das ist es nicht. Aber Ihr müsst mir vertrauen.«
    Jetzt entfuhr Charman ein Lachen. »Vertrauen? Ich vertraue niemandem mehr!«
    Bellendorf lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Löwenmähne fiel wie silberner Regen auf seine Schultern herab. »Andreas Imhoff hingegen habt Ihr vertraut«, sagte er seelenruhig, nicht ohne einen herausfordernden Unterton.
    Charman beugte sich blitzartig über den Tisch seinem Anwalt entgegen, so dass dieser zusammenzuckte, und zischte: »Verehrter Herr Advokat, um meine Laune ist es dieser Tage nicht sonderlich gut bestellt. Daher bitte ich Euch tunlichst, mich nicht über Gebühr mit derlei Weisheiten zu traktieren. Ich weiß selbst, dass ich Imhoff, diesem alten Dieb und Betrüger, auf den Leim gegangen bin, weil ich zu vertrauensselig war. Ich habe mich in ihm getäuscht. Wäre dem nicht so, verbrächte ich meine kostbare Zeit nicht mit einem Rechtsgelehrten, dessen Anwesenheit allein mich Tag für Tag Unmengen meines hart erarbeiteten Silbers kostet, von dem ich, Gott möge es verhindern, nicht mehr viel übrig haben werde, sollten wir den Prozess verlieren. Der Sinn steht mir nach Gerechtigkeit und nicht nach Schuldturm. Versteht Ihr das?«
    »Gewiss, gewiss«, antwortete Bellendorf und hob beschwichtigend die Hände. »Ich wollte Euch wirklich nicht die Laune verderben, sondern lediglich damit sagen, dass Ihr jemandem vertraut habt, der das ausnutzte. Ich hingegen bin ein Mann, dem Ihr getrost vertrauen könnt, mehr noch, der Euer Vertrauen für eine erfolgreiche Ausübung seiner Tätigkeit dringend benötigt.«
    Richard Charman entspannte sich und lehnte sich langsam in seinen Stuhl zurück.
    »Imhoff hat zu Recht der Teufel geholt, und so will ich meinen Zorn nicht an Euch auslassen. Entschuldigt. Wir sollten nun lieber

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