Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
als wäre ihr eine schreckliche Erkenntnis gekommen, als hätte sie einer Wahrheit ins Gesicht geblickt, die sie nicht hatte sehen wollen und die sich ihr nun unbarmherzig offenbarte. Beinahe wäre sie über Sophie gestolpert, die sich noch immer hinter ihr in den Rockfalten verbarg, hätte sie Augustin von Küffen nicht geistesgegenwärtig am Arm ergriffen und festgehalten. »Mörder«, stammelte Agnes mit einem Mal. »Ihr wart es tatsächlich! Es stimmt also doch, was man sich erzählt. Ihr hattet Eure Finger im Spiel bei Andreas’ Tod!«
Ein Raunen ging durch die Menge. Agnes Imhoff sprach aus, was niemand sonst wagte, wohl aber ein jeder der Umstehenden in diesem Moment dachte. Sie sagte, was hinter vorgehaltener Hand schon seit einigen Wochen in Köln die Runde machte wie ein verleumderischer, bösartiger Wind, der die Herzen vergiftete. Charman konnte es spüren. Der Engländer hatte etwas mit dem Tod des Tuchhändlers zu schaffen, flüsterte der Wind den gierigen Ohren der Marktfrauen zu und fuhr es aus ihren Mündern in die Köpfe der Mägde. Der Londoner Kaufmann steht mit dem Teufel im Bunde. Ist er nicht auch ein Anhänger des neuen Glaubens? Ein Ketzer?, hauchte der Wind sein böses Gerücht in die Schänken hinein und strich es über die Segel am Rheinufer, dass die Schiffer es hören konnten und weitertrugen wie den Schwarzen Tod, der auch wahllos und verderblich von Mensch zu Mensch sprang und sich nicht um Stände scherte.
»Ich ein Mörder?«, platzte es aus ihm heraus. »Gewiss: Dass Euer Gatte, ein Betrüger und Dieb, ein Beutelschneider und Haderlump, jetzt unter der Erde ist, nun, ich würde lügen, behauptete ich, es täte mir leid. Aber ein Mörder bin ich nicht, auch wenn ich demjenigen von Herzen danke, der die Tat vollbrachte, so es denn überhaupt ein Verbrechen war, Gnädigste, und er nicht, wie vom Medicus und den Bütteln im Übrigen vermutet wird, einfach volltrunken im Rhein ersoffen ist.«
»Was fällt Euch ein, das Andenken des Gatten meiner Cousine in den Schmutz zu ziehen und damit unsere ganze Familie zu beleidigen?«, mischte sich nun Gerlin Metzeler ein, die bisher mit zusammengekniffenen Lippen neben der Magd gestanden hatte.
Charman sah, dass sie sich am liebsten auf ihn gestürzt hätte, so wie sie ihn aus ihren leuchtend blauen Augen anfunkelte. Ihr schmales Gesicht, ihr markantes Kinn und die ein wenig nach oben gereckte Nase verliehen ihr einen wütenden und arroganten Ausdruck. Hübsch war sie.
Charman lächelte.
»Das Andenken von Andreas Imhoff?«, vergewisserte er sich in gespielter Überraschung, als hätte er sich verhört. »Meint Ihr das Andenken desjenigen Mannes, dessen Leben auf Lug und Trug fußte, der Schnaps, Wein und der Hurerei mehr zugetan war als seinem eigenen Weibe? Sprechen wir von derselben Person?«
»Es gab Zeiten«, riss Agnes Imhoff mit bebender Stimme das Wort an sich, trat dabei die Stufe herab und näherte sich Charman so sehr an, dass sich ihre Nasen fast berührten und er ihren wütenden Atem spüren konnte, »da wart Ihr froh gewesen, mit ihm Geschäfte machen zu dürfen.«
Charman wich nicht zurück. Er konnte Agnes riechen, so dicht war sie bei ihm, und er erkannte sie. Doch die Blumen dieses Duftes waren verblüht. Er senkte seine Stimme und sprach jedes Wort dennoch klar und deutlich aus, als er sagte: »Und es gab Zeiten, da wart
Ihr
froh gewesen, mit mir sprechen zu dürfen. Habt Ihr das genauso vergessen wie die Wahrheit?« Er fixierte sie einen kurzen Moment, dann wandte er seinen Blick ab und schritt erhobenen Hauptes, einen etwas überfordert wirkenden Helmbert Bellendorf im Schlepptau, die Treppe zum Eingang des Gerichtsgebäudes empor.
Charman setzte sich mit Bellendorf auf die Bank, die der Klägerpartei vorbehalten war, rechter Hand und etwa vier Schritte vom Richtertisch entfernt, von dem aus Doktor Hieronymus Hauser erhaben auf die Anwesenden herabblickte. Neben ihm saßen zu jeder Seite die Schöffen, welche dem Prozess als höchstrichterliche Zeugen und Beisitzer dienten.
Hauser nahm von einem Gerichtsdiener einen Stoß Dokumente entgegen, den er vor sich auftürmte und Blatt für Blatt konzentriert sichtete. Bellendorf indes sah stoisch und schweigend nach vorne, als starrte er durch die vertäfelten Wände des Saales und des Doms auf das Wasser des Rheins. Nach und nach bemächtigte sich Charman ein plötzliches Gefühl der Überlegenheit und der Siegesgewissheit und vertrieb die Zweifel, die ihn noch beim
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