Die vierte Zeugin
Titel:
Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg
gerade als es so aussah, als wollte sie sich auf Charman stürzen, wandte sie sich um und warf Gerlin einen hasserfüllten Blick zu. Dann drängte sie sich durch die Menge hinaus ins Freie.
Niemand hielt sie auf. Selbst die bereitstehende Stadtwache nicht.
Nur ein einzelnes Wort hallte durch den Saal, in dem man eine Nadel hätte fallen hören können: »Mörderin!«
Dieser Ruf schien auch Doktor Hieronymus Hauser aus seiner Starre zu wecken. »Haltet sie auf!«, brüllte er den Bütteln zu. Dann lehnte er sich zurück und fuhr sich durch das dichte Haar. »Nun«, sagte er schließlich, und zum ersten Mal zeigte er so etwas wie Erschöpfung. »Wir haben es heute mit einer Reihe von Behauptungen zu tun, die allesamt zu beweisen wären.«
Helmbert Bellendorf hob die Hand, der Richter seufzte und ließ ihn vortreten.
»Angesichts der ungeheuren Mutmaßungen über das Verhalten meines Mandanten Richard Charman verlange ich eine gründliche Untersuchung der Todesumstände Andreas Imhoffs und fordere darüber hinaus eine weiter- und dahingehende Befragung sowohl der Zeugen als auch von Agnes Imhoff selbst.«
Der Richter nickte. »Stattgegeben. Ich berufe als Zeugen den einäugigen Flussschiffer Clewin. Erst dann kann darüber entschieden werden, ob wir einen neuen Prozess eröffnen müssen. Wegen Mordes.« Er sah hinüber zu Mathis von Homburg, der sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischte. »Es wäre besser für Eure Mandantin, Ihr wüsstet, wo sich dieser Clewin zurzeit befindet! Kennt Ihr seinen Aufenthaltsort?«
Der Anwalt schüttelte den Kopf.
»Der wohnt doch bei der Ursel, im Imhoff’schen Gasthaus
Zum kleinen Ochsen
!«, rief jemand aus dem Zuschauerraum. Von einigen Seiten kam zustimmendes Gemurmel.
Zum letzten Mal senkte der Richter an diesem Tag den Hammer. Langsam leerte sich der Saal. Gerlin blieb sitzen, bis auch der Letzte den Raum verlassen hatte. Dann stand sie auf und ging schweren Schrittes die Bankreihen entlang zum Ausgang.
Als sie ins Freie trat, sah sie Martin am Fuße der Treppe. Er legte seinen Kopf schräg und lächelte zaghaft. Hatte er auf sie gewartet?
»Was machst du noch hier?«, fragte Gerlin kühl, doch ihr Herz bebte.
»Ich habe Agnes’ Gesicht gesehen, als sie an mir vorbei auf den Domhof rannte.«
»Und?«
»Es war keine Verzweiflung in ihren Augen, Mutter. Es war Wut.« Er trat auf sie zu und nahm ihre Hand. »Lass uns nach Hause gehen.«
Sie sah ihn an.
Für einen Moment glaubte sie, Andreas stehe vor ihr.
Wind stob auf und wirbelte vereinzelte Blätter über den Platz. Gerlin schloss die Augen und hielt ihr Gesicht in die kühle Wintersonne. Der schreckliche Traum würde nicht mehr wiederkehren.
Nun, endlich, fühlte sie sich frei.
KAPITEL 11
15. 11. 1534
Vierter Verhandlungstag
S o gründlich wie an diesem Tag hatte sie die Schankstube lange nicht gefegt. Schon früh am Morgen war Ursel die Treppe von ihrer Kammer hinabgestiegen und hatte mit der Arbeit begonnen. Trotz der winterlichen Kälte hatte sie sämtliche Bänke, Hocker und Tische ins Freie hinausgezerrt und den geräumigen Schankraum bis in den kleinsten Winkel gereinigt. Die alten Binsen waren fortgeschafft und die neuen gleichmäßig verteilt worden. Nicht nur der zahlreichen Gäste wegen, die wie nach jedem Prozesstag gewiss auch heute die Schänke
Zum kleinen Ochsen
aufsuchen würden. Ursel legte sich auch deshalb ins Zeug, weil sie ihre Ungeduld kaum bezähmen konnte, bis endlich jemand kommen und ihr von der heutigen Verhandlung berichten würde. In Gedanken war sie ganz bei Agnes Imhoff und der kleinen Sophie, während sie geräuschvoll Stuhl um Stuhl beiseite schob. Womöglich würde sich bald alles aufklären, und in das Leben der beiden könnte wieder Ruhe einkehren, dachte sie bei sich. Verdient hatten sie es allemal, nach dem, was sie in den letzten Monaten hatten mitmachen müssen.
Wenn doch nur Martha, die ihr des Öfteren in der Schänke zur Hand ging, nicht ausgerechnet heute auf dem elterlichen Hof hätte helfen müssen. Zu gern wäre Ursel selbst zu der Gerichtsverhandlung gegangen, doch sie hatte die Schänke nicht einfach schließen können, obgleich an diesem Morgen gerade einmal zwei Gäste da gewesen waren, die noch dazu kaum etwas getrunken hatten. Ursel seufzte. Wegen der paar Pfennige hätte sie nicht offen lassen müssen.
Mit einem kräftigen Ruck zerrte sie eine massive Holzbank wieder an ihren Platz in der Ecke.
»Bist du Ursel Rumperth, die
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