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Die vierte Zeugin

Die vierte Zeugin

Titel: Die vierte Zeugin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja u.a. Kinkel , Oliver Pötzsch , Martina André , Peter Prange , Titus Müller , Heike Koschyk , Lena Falkenhagen , Alf Leue , Caren Benedikt , Ulf Schiewe , Marlene Klaus , Katrin Burseg
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»Nein. Bitte.«
    Gerlin dachte an ihren Schwur, im Gerichtssaal niemals zu lügen. Vater wäre heute an ihrer Seite, wenn der Köhler damals nicht eine falsche Aussage gemacht hätte.
Sie
würde die Wahrheit sagen, und wenn es ihr eigenes Leben kostete.
    Das Blut pulsierte in ihren Ohren. Die Stille wandelte sich zu einem Rauschen. Sie musste sich räuspern. »Ich vermute, er hatte geglaubt, auch anders zu seinem Recht zu kommen«, flüsterte sie.
    »Lauter bitte!«
    »Ich vermute, er hatte geglaubt, auch anders zu seinem Recht zu kommen.« Ihre eigenen Worte klangen wie durch einen fernen Tunnel. Im Saal begannen die Ersten, sich tuschelnd zu unterhalten.
    »Wie meint Ihr das?« Hauser sprach langsam und betonte jedes Wort. Seine Miene war unbewegt.
    »Agnes …« Gerlin räusperte sich erneut, bis ihre Stimme laut und deutlich hervorbrach: »Agnes Imhoff und Richard Charman hatten ein intimes Verhältnis.«
    Nun war es heraus. Der Geysir war explodiert.
    Das Getuschel wurde lauter, wogte auf zu einem Tumult. Manche erhoben sich von ihren Plätzen, um lautstark mit anderen zu debattierten. »Ehebruch!«, hallte es durch den Saal und: »An den Pranger!«
    Der ganze Raum war von einer eigentümlichen Erregung ergriffen. Hass, Beifall, Wut und Lachen erfüllten das Ratsgericht, als befände man sich auf einem Volksfest und nicht in den Räumen einer ehemaligen Bischofsresidenz.
    Agnes war ebenfalls aufgesprungen, schrie: »Lüge, das ist eine verdammte Lüge!« und wandte sich zum Gehen, doch ihr Anwalt hielt sie zurück und sprach erst beruhigend, dann immer eindringlicher auf sie ein. »Ihr werdet, verflucht nochmal, hier bleiben, wenn Ihr nicht wegen Fluchtgefahr in Ketten gelegt werden wollt!«, rief er schließlich aus.
    Doktor Hieronymus Hauser hatte Mühe, die Zuschauer zu zähmen. Sein Hammer fuhr krachend auf das Pult, zweimal, dreimal, aber niemand schien ihn zu hören. Das Volk fuhr fort, lautstark Spekulationen über die Bänke zu rufen oder in kleinen Grüppchen Meinungen auszutauschen. Von einer der hinteren Reihen warf jemand faule Eier in Richtung der Angeklagten. Eines davon schoss quer über den Boden und zerbarst am Holz des Richterpults, woraufhin Hauser der Stadtwache mit hochrotem Kopf befahl, die Störenfriede augenblicklich zu entfernen.
    Das verhaltene Tuscheln aufgebrachter Weiber wogte an Gerlins Ohr. Sie sah die blasse und in sich gesunkene Agnes, dann blickte sie zu Charmans Anwalt Bellendorf, der seine weiße Löwenmähne zurückstrich und dem Engländer etwas zuraunte. Weiter hinten, seitlich des Kamins, saß Augustin von Küffen, mit ungläubigem Gesicht.
    Sie fror.
    Plötzlich entdeckte sie Martin inmitten der mühsam gebändigten Menge. Das flachsblonde Haar fiel ihm ins Gesicht. Er starrte sie unverwandt an. Sein Unverständnis drang über die Köpfe der Zuschauer bis in ihr Herz.
    Gerlin schluckte. Sie hatte mit Ärger gerechnet, mit Hass und Geschrei, aber nicht mit der Verachtung ihres eigenen Sohnes. Ihrer einzig verbliebenen Verbindung zu Andreas. Warum konnte er nicht verstehen, dass sie die Wahrheit sagen musste, wie bitter sie auch schmeckte?
    Noch einmal fuhr der Hammer auf das Holz, dann war es still.
    »Gerlin Metzeler, Ihr habt auf die Bibel geschworen! Seid ihr Euch der Tragweite Eurer Behauptung bewusst?« Die schneidende Stimme des Richters durchfuhr den Raum, doch als Gerlin sich zu ihm umdrehte, glaubte sie kurz, Erleichterung in seinem Gesicht aufblitzen zu sehen.
    »Ja, dessen bin ich mir bewusst.«
    »Dann fahrt fort und berichtet, wie Ihr zu dieser Aussage kommt.«
    Sie seufzte. »In jener Zeit schickte Agnes mich stets früher nach Hause, und das war ganz und gar ungewöhnlich, denn sie war nicht gerne alleine. Eines Abends – ich konnte nicht schlafen und war auf dem Weg in Richtung St. Apostelen – sah ich, wie sie in dunklem Mantel, den Kopf unter einer Kapuze verborgen, durch die Gassen eilte. Nur an ihren Schuhen und ihrem Gang habe ich sie erkannt. Ich fragte mich, wohin sie zu dieser späten Stunde noch unterwegs sei. Also folgte ich ihr aus Neugier – bis zu dem Gasthaus, in dem Richard Charman wohnte, dem
Schwarzen Hahn
. Das wiederholte sich in mehreren Nächten, und da ich befürchten musste, dass sie Andreas, der zu dieser Zeit auf einer Messe in Aachen war, hinterging, wollte ich Gewissheit.« Ihre Stimme brach, sie holte tief Luft. »Immerhin hat Charman ihn an jenem Abend in der
Wolkenburg
des Betrugs bezichtigt! Sollte nun seine eigene Frau

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