Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Hüften gestemmt, auf der Bühne stand und alle mit blutunterlaufenen Augen anfunkelte.
»Wir tanzen nicht für Geld«, rief er mit tiefer, dröhnender Stimme. »Der Sema ist ein spiritueller Tanz, er wird um der Liebe und nur um der Liebe willen getanzt. Nimm das Gold zurück, Herrscher! Dein Geld gilt hier nichts!«
Die Halle versank in einer grauenhaften Stille. Rumis ältester Sohn war so erschüttert, dass alles Blut aus seinem jungen Gesicht wich. Niemand wagte es, einen Laut von sich zu geben. Kein Seufzer ertönte, niemand schnappte nach Luft – wir hielten alle den Atem an. Als hätten die Himmel auf dieses Zeichen gewartet, begann es heftig, geradezu sturzbachartig zu regnen. Die Tropfen ertränkten alles und jeden in ihrem steten Rauschen.
»Gehen wir!«, rief Kai Chosrau seinen Männern zu.
Der Herrscher schritt dem Ausgang entgegen. Seine Wangen schwabbelten vor Beschämung, seine Lippen bebten, und seine Schultern hingen schlaff herab. Im Gänsemarsch huschten seine zahlreichen Wächter und Diener hinter ihm her und traten dabei mit ihren schweren Stiefeln auf die Münzen aus dem Beutel. Einige Zuschauer liefen herbei, um die Geldstücke aufzuheben, und es entstand ein Gerangel.
Als der Gebieter verschwunden war, ging ein Raunen der Enttäuschung und Missbilligung durch die Menge.
»Für wen hält der sich?«, riefen einige.
»Wie kann er es wagen, unseren Herrscher zu beleidigen! Was ist, wenn Kai Chosrau sich nun an der ganzen Stadt dafür rächt?«
Mehrere Zuschauer standen auf, schüttelten fassungslos den Kopf und stolzierten zum Ausgang, um so ihr Missfallen deutlich zu machen. Angeführt wurde der Protestzug von Scheich Jassin und seinen Schülern. Zu meinem großen Erstaunen sah ich darunter auch zwei von Rumis ehemaligen Schülern – und seinen eigenen Sohn Aladdin.
ALADDIN
KONYA, JUNI 1246
B ei Allah, etwas so Peinliches ist mir mein Lebtag nicht widerfahren. Als wäre es nicht schon beschämend genug, den eigenen Vater mit einem Ketzer im Bunde zu wissen, musste ich obendrein die Demütigung ertragen, ihn als Anführer einer Tanzdarbietung zu erleben. Was hat ihn nur dazu getrieben, sich vor der ganzen Stadt eine derartige Blöße zu geben? Und am allermeisten entsetzt hat mich, dass sich unter den Zuschauern eine Hure aus dem Bordell befand. Ich saß da und fragte mich, welcher Irrsinn, welche Verheerung uns allen denn noch aus der Liebe meines Vaters zu Schams erwachsen würde, und wünschte mir zum ersten Mal in meinem Leben, der Sohn eines anderen Mannes zu sein.
In meinen Augen war die ganze Aufführung reiner Frevel. Doch was danach geschah, ging vollends zu weit. Wie konnte sich dieser unverschämte Mensch erdreisten, unseren Herrscher mit Hohn und Spott zu überschütten? Er kann von Glück reden, dass Kai Chosrau ihn nicht auf der Stelle gefangen nehmen und an den Galgen bringen ließ.
Als ich Scheich Jassin unserem Gebieter Kai Chosrau folgen sah, wusste ich, dass ich mich ihm anschließen musste. Es fehlte mir gerade noch, dass die Leute in Konya denken, ich stünde auf der Seite des Ketzers. Alle sollten ein für alle Mal sehen, dass ich, anders als mein Bruder, nicht die Marionette meines Vaters war.
In dieser Nacht kehrte ich nicht nach Hause zurück, sondern ging mit ein paar Freunden zu Irschad. Noch ganz aufgewühlt sprachen wir über die Ereignisse des Tages und berieten ausführlich, was nun zu tun sei.
»Dieser Mann hat einen fürchterlichen Einfluss auf deinen Vater«, sagte Irschad streng. »Und jetzt hat er euch auch noch eine Hure ins Haus geholt. Du musst den Namen deiner Familie reinwaschen, Aladdin.«
Mein Gesicht brannte vor Scham, während ich mir anhörte, was sie zu sagen hatten, und eines war mir völlig klar: Schams hatte nichts als Elend über uns gebracht.
Gemeinsam kamen wir zu dem Schluss, dass Schams die Stadt verlassen musste – wenn nicht aus freien Stücken, dann eben unter Zwang.
Am nächsten Tag ging ich nach Hause. Ich hatte mir vorgenommen, von Mann zu Mann mit Schams-e Tabrizi zu reden. Er saß, mit dem Rücken zu mir, allein im Hof und spielte mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen auf der Ney. Er war so in die Musik vertieft, dass er mich gar nicht bemerkte. Ich näherte mich leise wie eine Maus und ergriff die Gelegenheit, ihn zu beobachten und meinen Feind auf diese Weise besser kennenzulernen.
Nach ein paar Minuten hörte er auf zu spielen, hob leicht den Kopf und murmelte, ohne in meine Richtung zu schauen, wie
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