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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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gekommen war. Unsere Gefährtenschaft hatte Rumi und mich etwas außergewöhnlich Schönes erleben lassen, wir hatten erfahren, wie es ist, der Unendlichkeit durch zwei Spiegel zu begegnen, die sich ewig ineinander spiegeln. Aber der alte Grundsatz gilt immer noch: Wo Liebe ist, wird Kummer sein.

ELLA
    NORTHAMPTON, 29. JUNI 2008
    B egegnungen, wie man sie sich in den kühnsten Träumen nicht ausmalen würde, widerführen Menschen, die, sagte Aziz, bereit seien für das Ungewöhnliche und Unerwartete. Aber mit keiner Faser ihres Körpers war Ella auf das vorbereitet, was sich in dieser Woche ereignete: Aziz Z. Zahara kam nach Boston, um sie zu besuchen.
    Es war Sonntagabend. Die Rubinsteins hatten sich gerade zum Essen gesetzt, als Ella eine neue SMS auf ihrem Handy bemerkte. Sie nahm an, jemand vom Fusion Cooking Club habe sie ihr geschickt, und sah nicht sofort nach, sondern servierte erst einmal die Spezialität des Abends: Ente im Honigmantel mit Röstkartoffeln und karamellisierten Zwiebeln auf einem Naturreisbett. Als sie die Ente auf den Tisch stellte, wurden alle hellwach. Selbst Jeannette, die deprimiert war, weil sie Scott mit seiner neuen Freundin gesehen und gemerkt hatte, dass sie ihn noch immer liebte, hatte offenbar einen Bärenhunger.
    Es wurde ein langes Essen, gemütlich, mit gutem Wein und den üblichen Plaudereien. Ella nahm an allem Anteil, unterhielt sich mit ihrem Mann über ihr Vorhaben, den Pavillon hellblau streichen zu lassen, mit Jeannette über deren zahlreiche Lehrveranstaltungen im College und mit den Zwillingen über neue DVDs, die sie sich ausleihen wollten, darunter die jüngste Folge von Fluch der Karibik . Erst nachdem sie das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine geräumt und die Crème brûlée mit weißer Schokolade serviert hatte, fiel ihr die SMS wieder ein.
    Hi Ella, bin gerade in Boston gelandet, Auftrag vom Smithsonian-Magazin. Sollen wir uns treffen? Wohne im Onyx, würde dich gern sehen, Aziz.
    Ella legte das Handy weg und setzte sich an den Tisch, um die Nachspeise zu essen. Ihr war ein bisschen schwindelig.
    David hob den Blick von seinem Teller. »Hast du eine SMS bekommen?«
    »Ja, von Michelle«, antwortete Ella wie aus der Pistole geschossen.
    Auf Davids Gesicht erschien ein gequälter Ausdruck, er schaute beiseite und tupfte sich den Mund ab. Dann faltete er seine Serviette staunenswert langsam und präzise zu einem perfekten Quadrat und sagte schließlich: »Verstehe.«
    Ella war klar, dass David ihr nicht einmal ansatzweise glaubte, aber sie hatte das Gefühl, bei ihrer Geschichte bleiben zu müssen – nicht um ihren Mann zu überzeugen oder ihren Kinder etwas vorzuspielen, sondern um ihrer selbst willen, um imstande zu sein, diesen einen Schritt von ihrem Haus hin zu Aziz’ Hotel zu tun. Und deshalb fuhr sie, jedes Wort gründlich abwägend, fort: »In der Agentur findet morgen Vormittag eine Besprechung statt – es geht um den Katalog fürs nächste Jahr –, und ich soll dabei sein.«
    »Tja, dann machst du das besser mal«, sagte David, und das Glänzen in seinen Augen verriet, dass er durchaus im Bilde war. »Weißt du, was? Ich fahre dich morgen in die Stadt, und wir gehen gemeinsam hin! Ich kann ein paar Termine verschieben.«
    Ella starrte ihren Mann entsetzt an. Wollte er jetzt vor den Kindern eine Szene machen?
    »Das wäre zwar schön«, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab, »aber wir müssten dann noch vor sieben losfahren. Michelle möchte erst mit mir allein sprechen, bevor die anderen dazustoßen.«
    »Dann könnt ihr es vergessen«, warf Orly ein, die genau wusste, wie sehr ihr Vater es hasste, zeitig aufzustehen. »So früh – das schafft Daddy nie!«
    Ella und David sahen einander über die Köpfe ihrer Kinder hinweg unverwandt an. Jeder wartete darauf, dass der andere den ersten Schritt machte.
    »Das stimmt allerdings«, gab David schließlich zu.
    Ella nickte erleichtert, schämte sich aber zugleich ein wenig ihrer Unverfrorenheit, denn in diesem Moment kam ihr eine bessere, eine noch viel verrücktere Idee.
    »Ja, das ist in der Tat sehr früh«, sagte sie. »Vielleicht sollte ich besser jetzt gleich los.«
    Allein die Vorstellung, am nächsten Morgen nach Boston zu fahren und mit Aziz zu frühstücken, ließ ihr Herz schneller schlagen, aber sie wollte Aziz sofort sehen, lieber jetzt als morgen, denn morgen erschien ihr plötzlich viel zu weit weg. Die Fahrt nach Boston dauerte fast zwei Stunden, doch das machte ihr nichts aus.

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