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Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Titel: Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elif Shafak
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dass er sich schon eine ganze Weile mit keiner anderen Frau mehr getroffen hatte.
    »Alles in Ordnung, Schatz?«, fragte David immer wieder.
    »Alles bestens«, antwortete sie dann und schenkte ihm jedes Mal ein Lächeln. Es war, als hätte ihr Rückzug an einen Ort, der nur ihr zugänglich war, die Fassade der Höflichkeit eingerissen, hinter der ihre Ehe viele Jahre lang ungestört geschlafen hatte. Nachdem sie sich nun nichts mehr vormachten, konnte sie ihrer beider Fehler und Schwächen in aller Deutlichkeit sehen. Sie verstellte sich nicht mehr. Und sie spürte, dass auch David kurz davor war, damit aufzuhören.
    Beim Frühstück und am Abendessenstisch unterhielten sie sich in so ruhigem, so erwachsenem Ton über die Ereignisse des Tages, als ginge es um die Jahresrendite ihrer Geldanlagen. Danach schwiegen sie und erkannten damit schonungslos an, dass es zwischen ihnen im Grunde nicht mehr zu bereden gab.
    Manchmal ertappte sie ihren Mann dabei, wie er sie musterte, als warte er darauf, dass sie etwas sagte, irgendetwas. Er hätte nur zu gern mit der Sprache herausgerückt, wenn sie ihn nach seinen Affären gefragt hätte, das spürte Ella. Doch sie wusste nicht, ob sie es überhaupt wissen wollte.
    Früher hatte sie sich dumm gestellt, um ihren Mann nicht zu provozieren. Jetzt aber tat sie nicht mehr so, als wüsste sie nicht, was er so trieb, wenn er weg war. Sie zeigte ihm, dass sie es sehr wohl wusste, dass sie aber nichts darauf gab. Und genau diese neue Distanziertheit machte ihrem Mann Angst. Ella konnte ihn verstehen, denn tief im Herzen ängstigte es auch sie.
    Wenn David noch einen Monat zuvor auch nur einen winzigen Schritt unternommen hätte, um ihre Beziehung zu verbessern, wäre sie ihm dankbar gewesen. Jeder Versuch von seiner Seite hätte sie gefreut. Jetzt war es anders. Jetzt hegte sie den Verdacht, dass ihr Leben nicht wirklich genug war. Wie war sie an diesen Punkt gelangt? Wie war sie, zufriedene Mutter dreier Kinder, ihrer eigenen Verzweiflung auf die Schliche gekommen? Und, noch wichtiger: Wenn sie wirklich unglücklich war, wie sie Jeannette vor einiger Zeit versichert hatte, warum tat sie dann nicht, was unglückliche Menschen sonst immer taten? Sie war noch nie heulend auf den Badezimmerboden gesunken, stand nicht in Tränen an der Küchenspüle, unternahm keine langen Spaziergänge voller Melancholie, schmiss keine Gegenstände an die Wand … nichts.
    Eine merkwürdige Ruhe hatte von ihr Besitz ergriffen. Obwohl sie dabei war, geradewegs aus ihrem gewohnten Leben herauszurutschen, fühlte sie sich gefestigter denn je. Morgens betrachtete sie sich lange und gründlich im Spiegel, um herauszufinden, ob es sichtbare Veränderungen gab. Sah ihr Gesicht plötzlich jünger aus? Hübscher? Oder vielleicht lebendiger? Sie konnte keinen Unterschied erkennen. Nichts hatte sich verändert, und doch war nichts mehr wie zuvor.

KIRA
    KONYA, 5. MAI 1245
    B üsche, die einst die Last des Schnees zerdrückte, stehen jetzt in voller Blüte vor unserem Fenster, und Schams-e Tabrizi ist immer noch hier. In dieser Zeit ist mein Mann ein anderer geworden, jeden Tag entfernt er sich ein Stückchen weiter von mir und seinen Kindern. Zu Beginn dachte ich, sie hätten einander bald nichts mehr zu sagen, doch so kam es nicht. Nun stehen sie sich sogar noch näher. Wenn sie zusammen sind, herrscht entweder eine merkwürdige Stille oder ein unaufhörliches Gemurmel, ab und an erklingt schallendes Gelächter, und ich frage mich, wie es sein kann, dass ihnen niemals die Themen ausgehen. Nach jedem Gespräch mit Schams ist Rumi wie verwandelt, unnahbar und ganz in sich gekehrt, wie berauscht von einem Mittel, das ich weder schmecken noch sehen kann.
    Eng hocken sie beieinander in einem Nest, in dem kein Dritter Platz hat. Sie nicken, lächeln, schmunzeln und runzeln die Stirn zur gleichen Zeit und auf die gleiche Weise und tauschen beim Reden immer wieder lange, bedeutungsvolle Blicke. Selbst ihre Stimmungen sind voneinander abhängig. An manchen Tagen sind sie ruhiger als ein Wiegenlied, essen nichts und sagen nichts, während sie an anderen mit solcher Begeisterung herumwirbeln, als wären sie nicht ganz bei Verstand. So oder so erkenne ich meinen Mann nicht wieder. Der Mann, mit dem ich jetzt seit über acht Jahren verheiratet bin, der Mann, dessen Kinder ich großgezogen habe, als wären sie meine eigenen, ist zu einem Fremden geworden. Nur wenn er tief schläft, kann ich mich ihm nahe fühlen. Viele Nächte

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