Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook

Wenn nicht die Liebe in seinem Mittelpunkt steht, ist der Glaube etwas Schlaffes, Lebloses, Verschwommenes, Hohles – etwas, was man nicht wirklich empfinden kann.
    Glauben die Menschen, Gott wohnte in Mekka oder in Medina? Oder in irgendeiner Moschee? Wie kommt man zu der Vorstellung, Gott wäre auf einen begrenzten Raum beschränkt, obwohl Er doch klar und deutlich sagt: Weder Mein Himmel umfasst Mich noch Meine Erde, aber das Herz Meines gläubigen Dieners, es umfasst mich.
    Mich dauert der Narr, der die Grenzen seines sterblichen Verstands für die Grenzen Gottes des Allmächtigen hält. Mich dauern die Unwissenden, die glauben, sie könnten mit Gott verhandeln und Schulden bei Ihm begleichen. Ist Gott für diese Leute ein Krämer, der unsere Tugenden und unsere Missetaten auf zwei verschiedenen Waagen wiegt? Ist er ein Schreiber, der unsere Sünden haargenau in Sein Geschäftsbuch einträgt, damit wir Ihm dereinst alles zurückzahlen? Ist das ihre Vorstellung von Einssein?
    Weder ein Krämer noch ein Schreiber ist mein Gott, Er ist ein herrlicher Gott. Ein lebender Gott! Was sollte ich mit einem toten Gott? Er lebt! Al-Hayy ist sein Name – der ewig Lebende. Warum sollte ich mich in endlosen Sorgen und Ängsten winden, mich stets von Verboten und Beschränkungen beengen lassen? Er ist unendlich barmherzig. Sein Name ist al-Wadud. Er ist jedes Lobpreises würdig. Ich preise Ihn mit jedem Wort und jeder Tat so mühelos und selbstverständlich, wie ich atme. Sein Name ist al-Hamid. Wie kann ich je geifern und lästern, wenn ich tief im Herzen weiß, dass Gott alles hört und sieht? Sein Name ist al-Basir. Schöner als in allen Träumen und Hoffnungen.
    Al-Jamal, al-Qayyum, ar-Rahman, ar-Rahim. In Hungersnot und Flut, ausgetrocknet und durstig werde ich für Ihn tanzen und singen, bis meine Knie unter mir nachgeben, mein Körper zu Boden stürzt und mein Herz nicht mehr schlägt. Ich werde mein Ich in Stücke hauen, bis ich nur noch ein Teilchen des Nichts bin, Durchwanderer der reinen Leere, Staub vom Staub in Seinem prachtvollen Gebäude. Dankbar, freudig und unermüdlich preise ich Seine Herrlichkeit und Großmut. Ich danke Ihm für das, was Er mir schenkte und verweigerte, denn nur Er kennt das Beste für mich.
    Ich entsann mich einer weiteren Regel auf meiner Liste und wurde von einer neuen Welle des Glücks und der Hoffnung durchströmt. Der Mensch hat einen einzigartigen Platz in Gottes Schöpfung inne. »Ich hauchte ihm von Meinem Geist ein«, sagt Gott. Ausnahmslos jeder von uns ist dazu bestimmt, ein Abgesandter Gottes auf der Welt zu sein. Nun frag dich selbst, wie oft du dich wie ein Abgesandter benimmst und ob du es überhaupt je tust! Vergiss nicht, dass jedem von uns aufgegeben ist, den göttlichen Geist in sich selbst zu entdecken und danach zu leben.
    Anstatt sich in der Liebe Gottes zu verlieren und ihr Ich zu bekriegen, bekämpfen die Glaubenszeloten andere Menschen und jagen eine Welle der Angst nach der anderen übers Land. Wer das ganze Universum mit vor Furcht getrübten Augen betrachtet, muss sich nicht wundern, wenn er Unmengen von furchteinflößenden Dingen erblickt. In jedem Erdbeben, jeder Dürre, jedem Unglück sehen diese Leute ein Zeichen Göttlichen Zorns – als sage Gott nicht offen: Mein Erbarmen ist größer als Mein Zorn. Stets empören sie sich über irgendwen wegen irgendetwas und erwarten, dass Gott der Allmächtige für sie eingreift und ihre klägliche Rache für sie übt. Ihr Leben besteht aus nichts als Verbitterung und Feindschaft, es ist eine einzige so ungeheure Unzufriedenheit, dass sie ihnen wie eine schwarze Wolke überallhin folgt und ihre Vergangenheit wie ihre Zukunft verdüstert.
    Das gibt es im Glauben: dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Die Ganzheit der Religion ist weit wunderbarer und tiefer als die Summe ihrer Bestandteile. Einzelne Regeln müssen im Licht des Ganzen gelesen werden. Und das Ganze ist im Kern verborgen.
    Anstatt aber den Kern des Korans zu suchen und ihn als Ganzes wahrzunehmen, greifen die Frömmler ein, zwei bestimmte Suren heraus und geben den göttlichen Geboten den Vorrang, mit denen sie ihren ängstlichen Geist in Einklang glauben. Ständig erinnern sie die anderen daran, dass alle Menschen am Jüngsten Tag die Sirat-Brücke überqueren müssen, die feiner ist als ein Haar und schärfer als eine Klinge. Die Sündigen, die es nicht hinüberschaffen, stürzen in den darunterliegenden Höllenpfuhl und werden dort auf ewig