Die vierzig Geheimnisse der Liebe / ebook
Selbst die Allereinfältigsten sehen ein, dass es heutzutage keine andere Möglichkeit gibt. Besonders heikel wurde die Lage, als vor fünfundzwanzig Jahren hundert mongolische Botschafter, die Dschingis Khan zu Friedensverhandlungen ausgeschickt hatte, niedergemetzelt wurden. Dschingis Khan tobte vor Wut und erklärte dem Islam den Krieg. Niemand wusste, wie und warum die Botschafter getötet worden waren. Manche hegten den Verdacht, Dschingis Khan habe sie selbst umgebracht, um einen Vorwand für seinen gewaltigen Kriegszug zu haben. Könnte stimmen – man weiß ja nie. Aber eines weiß ich mit Sicherheit, nämlich dass die Mongolen innerhalb von fünf Jahren die gesamte Region Khorasan verwüstet haben und in jedem Landstrich, durch den sie auf ihren Pferden preschten, Tod und Zerstörung hinterließen. Vor zwei Jahren besiegten sie dann am Berg Köse Dag das Heer der Seldschuken und machten den Sultan zum tributpflichtigen Vasallen. Ausgelöscht haben uns die Mongolen damals nur deswegen nicht, weil sie mehr Nutzen daraus ziehen, uns unter ihrem Joch zu haben.
Krieg gibt es wohl seit unvordenklichen Zeiten, zumindest seit Kain seinen Bruder Abel erschlug, aber so etwas wie das Heer der Mongolen hat man bisher noch nicht erlebt. Sie verstehen sich nicht nur auf eine Sache, sondern auf viele, und haben zahlreiche ganz unterschiedliche Waffen ersonnen, jede für einen ganz bestimmten Zweck. Alle Mongolensoldaten sind schwer gerüstet mit Keule, Streitaxt, Säbel und Speer. Obendrein können ihre Pfeile durch Rüstungen dringen, ganze Dörfer in Brand setzen, die Opfer vergiften und selbst die härtesten Knochen im Körper durchbohren. Sie haben sogar heulende Pfeile, mit denen sie Signale von einer Einheit zur anderen senden. Als Meister in der Kunst des Krieges und bar jeder Furcht vor einem Gott überfallen und vernichten die Mongolen jede Stadt und jedes Dorf auf ihrem Weg. Selbst altehrwürdige Städte wie Buchara machten sie dem Erdboden gleich. Aber es sind ja nicht nur die Mongolen. Jerusalem gilt es von den Kreuzrittern zurückzuerobern, und von der Bedrängnis seitens der Byzantiner und der Rivalität zwischen den Schiiten und den Sunniten will ich gar nicht reden. Wer ringsum von kaltblütigen Feinden umgeben ist, kann es sich schlicht nicht leisten, friedlich zu sein.
Und deshalb gehen mir Leute wie Rumi auf die Nerven, ganz gleich, wie sehr ihn alle schätzen. Für mich ist er ein Feigling, der nichts als Feigheit verbreitet. Früher war er vielleicht ein guter Gelehrter, aber inzwischen steht er offenkundig unter dem Einfluss dieses Ketzers Schams. Was predigt Rumi denn in einer Zeit, in der sich die Feinde des Islam allerorten bedrohlich erheben? Friede! Gelassenheit! Ergebung!
Ertrag den Schmerz, Bruder, entflieh dem Gift
Deiner Regungen. Denn dann verbeugt sich
Der Himmel vor dir … So weitet der Dorn sich zur Rose.
Ein Einzelnes leuchtet im Allgemeinen.
Rumi predigt Unterwerfung und macht die Moslems damit zu einer Herde scheuer und sanftmütiger Schafe. Für jeden Propheten, sagt er, gibt es eine Anhängerschar und für jede Anhängerschar eine vorbestimmte Zeit. Außer »Liebe« gehören noch »Langmut«, »Ausgeglichenheit« und »Duldsamkeit« zu seinen Lieblingswörtern. Ginge es nach ihm, säßen wir alle zu Hause herum und warteten darauf, dass unsere Feinde uns abschlachten oder uns irgendein anderes Unheil widerfährt. Gewiss würde er dann kommen und nach einem kurzen Blick auf die Katastrophe von Baraka faseln. Einige haben ihn schon sagen hören: »Wenn Schule und Moschee und Minarett zerstört sind, werden die Derwische beginnen, ihre Gemeinden aufzubauen.« Was, bitte, soll das!
Im Grunde hat es Rumi ja nur deswegen in unsere Stadt verschlagen, weil seine Familie vor Jahrzehnten Afghanistan verließ und sich nach Anatolien flüchtete. Damals hatten viele reiche und mächtige Leute eine öffentliche Einladung des Seldschukensultans erhalten, darunter auch Rumis Vater. Mit diesem Schutzbrief und derartigen Vorrechten ausgestattet und überschüttet mit Aufmerksamkeit und Anerkennung, verließ Rumis Vater das Tollhaus Afghanistan und betrat die beschaulichen Obstgärten Konyas. Wer solche Erfahrungen gemacht hat, der predigt leicht Duldsamkeit!
Neulich hörte ich von einer Geschichte, die Schams-e Tabrizi ein paar Leuten im Basar erzählt hatte. Ali, sagte er, der Nachfolger und Gefährte des Propheten, kämpfte einmal in der Schlacht gegen einen Ungläubigen. Eben als Ali ihm
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