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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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schlage deshalb vor, daß man die einzelnen Lebensgebiete voneinander trenne, und für jedes ein eigenes Komitee bestimme. Jeder einzelne dieser Ausschüsse solle von einem Mann geführt werden, den Ter Haigasun zu bestimmen habe. Diese Führer würden dann miteinander einen engeren Rat bilden, der die eigentliche Leitung der Dinge in Händen halte. Es handle sich hierbei um fünf Gebiete. Erstens um die Verteidigung. Das zweite sei das Gebiet des Rechtes, das allein Ter Haigasun zustehe. Die innere Ordnung komme danach, ferner alles, was mit Gesundheit und Krankheit zusammenhänge, und zuletzt die Angelegenheiten der verschiedenen Gemeinden, die dem Ganzen gegenüber zu vertreten seien. Diesem Antrag des jungen Pastors stimmte Gabriel begeistert zu, und auch der Arzt gab das erstemal Zeichen der Anerkennung von sich. Niemand widersprach. Ter Haigasun, dem das unvermeidliche Geschwätz einer großen Körperschaft ebenso widerstand wie Aram Tomasian, verwirklichte den Verfassungsantrag unverzüglich. Dem Kampfführer Gabriel Bagradian wurde Tschausch Nurhan, Lehrer Schatakhian und zwei jüngere Leute zugeteilt, die er selbst ausgewählt hatte. Auch Aram Tomasian gehörte zum Komitee der Verteidigung. Ebenso gehörte Gabriel Bagradian zum Komitee der inneren Ordnung, das von dem Pastor geführt wurde. Dieser Ausschuß trug die Verantwortung für alles, was mit der Nahrungsbeschaffung und -verteilung zusammenhing. Deshalb hatte er Thomas Kebussjan und die andern Muchtars zu Mitgliedern. Eine eigene Stellung nahm Vater Tomasian, der Bauunternehmer, ein, dem die Sorge für die zu errichtenden Unterkünfte übertragen wurde. Daß der Hekim Altouni und der teilnahmslose Apotheker die Gesundheitskommission zu bilden hatten, muß nicht eigens erwähnt werden. Damit war im großen und ganzen eine gute Arbeitsteilung erzielt. Die einzelnen Gruppen sollten in den nächsten Stunden ihre Sache fördern, so weit es ging. Gegen Morgen würde dann eine kurze Sitzung des großen Rates genügen, um die Ergebnisse zu genehmigen. Die Muchtars begaben sich vor das Haus, um durch unmittelbare Rücksprache mit den Dörflern die Richtigkeit ihrer Vorratsziffern zu prüfen. Gabriel wollte ihnen später folgen, damit er kraft ihrer Hilfe aus den jüngsten und kräftigsten Männern das erste Aufgebot zusammenstelle, mit dem er schon in den frühen Morgenstunden den großen Schützengraben am Nordsattel ausstechen wollte. Indessen aber setzte er Ter Haigasun, Aram Tomasian und den übrigen den Verteidigungsplan an Hand der Karten mit großem Eifer auseinander. Selbst Krikor begann neugierig zu werden und näherte sich ihm. Nur ein einziger hielt sich mit verschränkten Armen durchdringend abseits, Hrand Oskanian natürlich. Der schwarze Lehrer hatte wieder eine Erniedrigung erleiden müssen. In der Ämterverteilung war ihm keine Führerrolle, ja nicht einmal eine bessere Nebenrolle zugefallen. Während Kollege Schatakhian in das Verteidigungskomitee entsandt worden war, hatte Ter Haigasun in seinem abgründigen Haß gegen den Schweiger ihn dazu verurteilt, mit den Kindern Schule zu halten, damit keine Zuchtlosigkeit einreiße. Das war die neidische Rache des Priesters dafür, daß die Gemeinden Hrand Oskanian, ihren Dichter, durch Hunderte von Stimmen ausgezeichnet hatten. Er dachte schon daran, mit eisiger Unnahbarkeit die Versammlung zu verlassen und nach Hause zu gehen. Dann aber kam es ihm stolz zu Bewußtsein, daß die Masse, die ihn gewählt hatte, vertrauensvoll zu ihm emporblicke und daß überdies der Priester mehr unter der Wucht seiner Gegenwart als unter seiner Abwesenheit leiden würde.
    Knapp nach Mitternacht kam es zu einer jähen Unterbrechung der Beratung. Wie es in solchen Fällen öfter geschieht, hatte man an die Bergung dessen, wovon die ganze Zukunft abhing, nicht gedacht. Noch lagen die fünfzig Mauser- und die zweihundertfünfzig Karagewehre in ihren Gräbern auf dem Friedhof bestattet. Sie mußten ohne Verzug exhumiert und mitsamt der Munition noch im Laufe der Nacht auf den Damlajik geschafft werden. Wenn Gabriel den Versicherungen Ali Nassifs auch nicht mißtraute, so war doch immerhin die Möglichkeit vorhanden, daß bereits in den nächsten vierundzwanzig Stunden durch neu einlangende Saptiehs eine überfallartige Waffendurchsuchung der Dörfer vorgenommen würde. In großer Eile begab sich eine Abordnung von sechs Männern nach dem Kirchhof von Yoghonoluk, der außerhalb des Ortes auf dem Wege nach Habibli-Holzdorf

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