Die vierzig Tage des Musa Dagh
Eigentum. Es könne doch nicht jede einzelne Familie ihre eigenen Schafe schlachten. Die Milch müsse doch denjenigen zugute kommen, die ihrer bedürfen, und nicht etwa wohlgenährten und kräftigen Leuten, die zufällig ein paar Ziegen besitzen. Die Einbildung, die vielleicht manche noch hegten, daß man sich für Geld auf dem Damlajik diesen und jenen Vorteil werde erhandeln können, sei ein kindischer Traum. Geld habe in dem Augenblick, da die Gemeinden das Lager beziehen, nicht den geringsten Wert mehr. Der Tauschhandel aber müsse streng verhindert werden, denn alles Gut sei von heute ab Volksgut und diene der Lebensrettung durch den Kampf. Wer sich jetzt und immer klar mache, daß die Austreibung das ganze Hab und Gut koste, werde wahrhaftig die Erfordernisse des Musa Dagh für nicht der Rede wert halten.
Es zeigte sich aber sofort, daß Gabriel Bagradian mit dieser berechtigten Ansicht sich sehr im Irrtum befand. Denselben Bauernschädeln, die noch vor wenigen Stunden der Austreibung und des Todes so widerspruchslos gewiß waren, ging es durchaus nicht in den Kopf, daß ihr Eigen nicht mehr ihr Eigen sein sollte. Die Muchtars machten finstere Mienen. Doch es war nicht nur der Verlust, der ihre Widerspenstigkeit reizte, sondern ebensosehr das Unerbittlich-Ordnunghafte, das »Europäische« in Gabriels Reden. Thomas Kebussjan von Yoghonoluk nahm, indem er besonders stark nach Ter Haigasun hinschielte, umständlich das Wort:
»Unser Priester weiß es, daß ich immer nach Kräften ein Wohltäter war und mich niemals gesträubt habe, in allem und jedem meinen Anteil an die Armen, an Kirche und Schule abzuführen. Dieser Anteil aber war stets der größte in unserem ganzen Bezirk. Wurden für unsere Volksgenossen im Norden und im Osten Sammlungen veranstaltet, so hat man immer meinen Namen an die Spitzen der Listen gesetzt und ich mußte auch in schlechten Jahren den ansehnlichsten Betrag spenden. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen. Nein, nein, nicht rühmen will ich mich …« Hier verlor er den Faden und wiederholte deshalb noch ein paarmal die Versicherung seiner Bescheidenheit …
»Ich leugne auch nicht, daß ich die zahlreichsten und besten Schafe auf der Weide habe. Und warum hab ich sie? Weil ich die Zucht verstehe. Weil ich mich in der Welt umgesehen habe … Nun aber soll ich plötzlich gar keine Schafe haben oder ebensoviele wie irgend ein Holzschnitzer, der nur etwas von Eiche und Nuß versteht, oder wie ein Bettler …«
»Oder wie ich, der Lehrer …«, rief der kleine Oskanian bissig in das Geleier. Der Schweiger trug auch an diesem Tage des Jammers seinen grauen Lordsrock, mit dem er dem untadeligen Monsieur Gonzague den Rang abzulaufen hoffte. Seine Eitelkeit war eine Gewalt, die selbst einem Austreibungsbefehl Talaat Beys gewachsen war. Der Zwischenruf ärgerte die anderen Schulzen, die nun ihrerseits für die von ihrem Amtsbruder verteidigte Eigentums-Erhaltung eintraten. Es begann daraufhin ein zeitraubender Streit, der deshalb schon unfruchtbar war, weil selbst der dickste Bauernschädel keinen anderen Weg als den von Bagradian vorgeschlagenen hätte finden können. Der Wortwechsel diente nur dazu, dem Unwillen darüber Luft zu machen. Ter Haigasun wartete eine Weile ab. Ein kurzer Blick von ihm belehrte Gabriel: Man muß diesen Leuten das Selbstverständliche mit einiger Vorsicht beibringen. Dann unterbrach er die leere Rederei:
»Wir werden auf den Berg ziehen und dort müssen wir leben. Vieles wird sich da von selbst ordnen, worüber zu verhandeln vorläufig nicht nötig ist. Es wäre besser, wenn ihr, Muchtars, jetzt über das Allerdringendste nachdächtet: Wird es uns gelingen, genügend Vorräte hinaufzuschaffen? Für wieviele Wochen werden sie reichen? Gibt es eine Möglichkeit, sie zu ergänzen?«
Hier schaltete Pastor Tomasian einen neuen, sehr verständigen Antrag ein. Die drei Fragen Ter Haigasuns seien überhaupt die wichtigsten Posten in der Rechnung. Von ihrer Beantwortung hänge alles ab. Diese Beantwortung aber könne nicht im Laufe des Beratens erfolgen. Es sei Sache der Muchtars, sich zusammenzusetzen und nach ihrer Schätzung eine Übersicht der Vorräte sowie einen Plan der Ernährung auszuarbeiten. Doch nicht nur für die Frage der Ernährung, auch für alle anderen Fragen gelte dasselbe. Der große Führerrat, der hier beisammensitze, sei eine unbewegliche Einrichtung. Es komme nicht aufs Reden und Streiten, sondern aufs Arbeiten an. Er, Aram Tomasian,
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