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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Kilikian seinen Laden schon um die Mittagsstunde. Dies aber half ihm nichts, denn kaum hatte er sich in seine Wohnung zur Mahlzeit begeben, war die wüste Kundschaft schon da und begehrte Einlaß. Frau Kilikian, ein große, blonde Armenierin aus dem Kaukausus, hatte das Essen bereits aufgetragen, als sich der kreidebleiche Mann erhob, um die Ladentür wieder zu öffnen. Der Uhrmacher beruhigte seine Frau mit den Worten, es sei am besten, den Laden der Plünderung zu überlassen, um das eigene Leben zu retten. Die Ewigkeiten der nächsten Minuten wird Sarkis Kilikian bewahren müssen, so lange eine geschaffene Seele im Universum durch alle Wandlungen und Wanderungen hindurch sie selbst bleiben muß. Er lief dem Vater in die Werkstatt nach, die sich indessen mit einem Haufen von Männern gefüllt hatte. Ein malerischer Sturmtrupp von Seiner Majestät des Sultans Hamidijehs. Der Führer dieses Sturmtrupps war ein junger Mann mit einem rosig wohlgenährten Gesicht, der Sohn eines kleinen Beamten. Das Auffälligste an diesem dicklichen Türkenjüngling waren die vielen sonderbaren Abzeichen und Medaillen, mit denen sein Rock übersät war. Während zwei ernste, sachliche Kurden sogleich ans Werk gingen und den Inhalt der Schubladen vorsichtig in ihre Schnappsäcke leerten, schien der kühn ausstaffierte Beamtensohn seine Sendung rein politisch aufzufassen. Das tölpelhafte Milchgesicht glühte vor Überzeugung, als er den Uhrmacher anbrüllte: »Du bist ein Wucherer und Blutsauger! Alle Armenierschweine sind Wucherer und Blutsauger! Ihr unreinen Giaurs seid am Elend unseres Volkes schuld.« Meister Kilikian wies ruhig auf seinen Arbeitstisch mit der Lupe, den Pinzetten, Rädchen und Federn: »Warum nennst du mich einen Wucherer?« – »Das hier ist alles nur Lüge, hinter der du deinen Wucher versteckst.« Das Gespräch konnte nicht beendet werden, da in dem engen niederen Raum ein paar Schüsse krachten. Der kleine Sarkis roch zum erstenmal den betäubenden Pulverrauch. Er verstand anfangs gar nicht, was geschehen war, als sich sein Vater über das Tischchen wie zur Arbeit beugte, es aber sogleich mit sich zu Boden riß. Ohne einen Laut flitzte Sarkis ins Familienzimmer zurück. An der Wand wartete hoch aufgerichtet die blonde Mutter, ohne zu atmen. Ihre Hände umkrampften rechts und links das zweijährige und das vierjährige Mädchen. Ihre Augen hielten den Korb mit dem Säugling fest. Der siebenjährige Mesrop starrte verlangend nach dem herrlichen Hammelkebab, das auf dem Tische noch immer friedlich dampfte. Als aber die Bewaffneten in den Raum drangen, hatte Sarkis die Schüssel mit dem Hammelkebab schon gepackt und schleuderte sie dem Führer mit einem verzweifelten Schwung mitten ins dicke, rosige Gesicht. Aufschreiend duckte sich der tapfere Beamtenjüngling, als sei er von einer Granate getroffen. Der braune Saft der Speise rann ihm über den prächtigen Rock. Dem ersten Wurfgeschoß folgte der große Wasserkrug aus Ton, der schon eine bessere Wirkung erzielte. Der Truppführer blutete aus der Nase, trieb aber mit wehleidigem Gebrüll seine Mannschaft vor. Der kleine Sarkis stellte sich, mit dem Fleischmesser bewaffnet, schützend vor seine Mutter. Diese armselige Waffe in Händen eines Elfjährigen genügte, daß die unüberwindlichen Hamidijehs es auf einen Nahkampf nicht ankommen ließen, obgleich die Frau noch jung und hübsch war. Einer von ihnen warf sich mit einem feigen Schwung auf den Wiegenkorb, riß die quäkende Kreatur aus den Decken und zerschmetterte den Schädel des Kindchens an der Wand. Sarkis preßte sich dicht an den erstarrenden Leib der Mutter. Zwischen ihren festgeschlossenen Lippen wimmerte es sonderbar hervor. Und dann begann das donnernde Gekrache und Geknatter auf eine Frau und vier Kinder, ein Feuer, das genügt hätte, ein Regiment in die Flucht zu schlagen. Das Zimmer war von Qualm erfüllt, und die Bestien schossen schlecht. Es war wie eine abgekartete Teufelei des Schicksals, daß Sarkis von keiner einzigen Kugel getroffen wurde. Als erster starb der siebenjährige Mesrop. Die Leichen der beiden kleinen Mädchen hingen schlaff an den Händen der Mutter, die sie nicht losließ. Ihre große volle Gestalt stand straff und unbewegt. Ein Schuß traf sie in den rechten Arm. Sarkis fühlte mit seinem Rücken den kurzen Schlag, der sie durchzuckte. Zwei andre Schüsse zerschmetterten ihr die Schulter. Sie stand regungslos und ihre Hand ließ das Kind noch immer nicht. Erst als zwei

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