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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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ausgezogenen Spitzen seines grauen Draht-Schnurrbartes zitterten, der große braune Adamsapfel des dürren Halses hüpfte auf und ab. Nurhan schien den Türken für die Austreibung heißen Dank zu wissen, so leidenschaftlich war der Eifer, mit dem er sich auf die langentbehrte militärische Tätigkeit warf. Stundenlang übte er mit der arbeitsfreien Mannschaft, ohne sich und ihr die geringste Ruhe zu gönnen. Er hatte sichs in den Kopf gesetzt, die Gegenstände des türkischen Exerzierreglements, die für eine jahrelange Ausbildungsdauer berechnet sind, der armenischen Intelligenz und Geschicklichkeit in wenigen Tagen abzutrotzen. Er beschränkte sich hauptsächlich auf Gefechtsübungen, auf Schwarmlinienbilden, »Sprung auf« und »Nieder«, auf Deckungsuchen, schnelles Eingraben, Geländeausnützung und Sturm. Nur mit großem Unwillen nahm er es hin, daß Bagradian das Scharfschießen nicht bloß wegen Munitionsersparnis begreiflicherweise verboten hatte. So alt Nurhan auch war, er galoppierte von einer übenden Abteilung zur anderen, er belehrte die einzelnen Zehnerschafts-Führer, er brüllte und schimpfte im unflätigsten Kasernenhoftürkisch. Mit Säbel, Armeepistole, Gewehr, Patrontasche bis an die Zähne bewaffnet, hatte er auch noch das dem Ärar entführte Infanteriekornett umgehängt, mit dessen heiser stotternden Signalen er jeden Augenblick seine Truppe anfeuerte. Bagradian lief das lange Stück vom Nordsattel erregt zum Exerzierplatz, um das aberwitzige Getute streng zu verbieten. Es war ja nicht unbedingt notwendig, die Saptiehs und mohammedanischen Dörfer der Umgebung von den Manövern auf dem Damlajik schallend in Kenntnis zu setzen.
    Bereits am ersten Morgen waren die Deserteure des Musa Dagh zu den Kämpfern gestoßen. Sie vermehrten sich im Laufe der beiden Tage zu der stattlichen Menge von sechzig Mann, denn Nurhans Trompete schien die Gesellen von den Nachbarbergen, vom Ahmer Dagh und dem kahlen Dschebel el Akra, herbeigelockt zu haben. Für Gabriel Bagradian bedeuteten sie, obgleich alle gut bewaffnet waren, einen willkommen-unwillkommenen Zuwachs. Zweifellos befanden sich unter diesem herzbeklemmenden Element nicht nur gewöhnliche Fahnenflüchtige, mißhandelte, freiheitsüchtige oder feige Soldaten, sondern auch düstere Burschen, die mehr als den militärischen den bürgerlichen Richter zu fürchten hatten. Hochstapler mit einem Wort, die sich die Deserteurwürde fälschlich anmaßten, da sie Wegelagerer von Beruf waren und nicht den Kasernen von Antakje, Alexandrette und Aleppo, sondern dem Bagno von Payas entsprungen zu sein schienen. Das wahre Gewerbe der sechzig Neuankömmlinge zu unterscheiden, fiel äußerst schwer, denn alle sahen sie gleich scheu, tückisch und verkommen aus, was ja bei solchen Ausbrechern nur selbstverständlich war, die bei Tag und Nacht den Fahndungen der Gendarmerie Trotz bieten mußten und sich niemals vor zwei oder drei Uhr morgens in die Dörfer wagten, um von den zusammenschrekkenden Volksgenossen ein Stück Brot zu erbetteln. Die verhungerten Knochen der Deserteure – von Körpern konnte man kaum mehr reden – staken in den Lumpen der wüstenfarbenen Felduniform. Soweit man durch das verlauste Haar- und Bartgestrüpp noch so etwas wie Gesichter wahrnahm, waren sie gebräunt von Sonne und Schmutz. Aus ihren Armenieraugen blickte nicht nur das große allgemeine Leiden, sondern noch ein besonderes dazu, das boshafte Leiden verkrochener Nachtseelen, die langsam wieder im Tier-Sein untergehen. Das Gesindel sah aus wie von der Menschheit gekündigt. Nur auf den Deserteur Sarkis Kilikian, den man den Russen nannte, stimmte dieses Wort äußerlich wenigstens nicht, obgleich gerade er noch unerbittlicher aus dem menschlichen Sicherheitsverband entlassen war als alle anderen. Gabriel erkannte in ihm auf den ersten Blick das nächtliche Gespenst vom Dreizeltplatz. Die Frage, wie diese sechzig unholden Gesellen auf die Zehnerschaften verteilt werden sollten, ohne die werdende Disziplin zu gefährden, konnte nicht sofort gelöst werden. Vorläufig wurden sie trotz ihrer erstaunten Grimassen in die eiserne Zucht Tschausch Nurhans geschickt, wo sie für Speis und Trank dasselbe schweißtreibende Kriegsgewerbe üben mußten, dem sie entlaufen waren.
    Doch nicht Nurhans Gefechtsexerzieren war die wesentlichste Aufgabe dieser arbeitsbegeisterten Tage, sondern Vorbereitung und Bau der Kampfstellungen. Die blauen und braunen Linien, die Gabriel in Awakians Karten

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