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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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geflochtene Altarwand stand schon hinter der Gebetstätte. Dem religiösen Gefühl Aram Tomasians hätte es mehr entsprochen, wenn einer der vielen efeuumklammerten Felstische zum Naturaltar erwählt worden wäre. Doch Ter Haigasun schien für dergleichen Romantik nichts übrig zu haben. Der verehelichte Priester, den er mit dem Altarbau betraut hatte, zuckte bei Pastor Arams Anregung nur spöttisch die Achsel. Darauf sagte dieser kein Wort mehr, denn als protestantischer Geistlicher mußte er mit den gregorianischen Amtsbrüdern vorsichtig umgehen. Es war Abend. Gabriel lag erschöpft auf der Erde und starrte das unvollkommene Altargerüst an, das ihm unverhältnismäßig groß vorkam. Da bemerkte er in seinem Halbschlummer, daß auch ihn jemand anstarrte. Sarkis Kilikian, der Deserteur! Der Mann konnte jünger sein als Gabriel, vielleicht war er kaum dreißig Jahre alt. Und doch hatte er die scharfen, verfallenen Züge eines verbrauchten Fünfzigjährigen. Fest und dünn spannte sich die trotz aller Sonnenglut bleiche Gesichtshaut um einen höhnischen Totenkopf. Weniger vom Leiden erschienen seine Züge so ausgehöhlt als von einem fanatisch gelebten Leben. Satt, übersatt vom Leben, dies war das Wort. Obgleich seine Uniform ebenso zerfetzt war wie die der anderen Deserteure, machte er den Eindruck von verwilderter Eleganz oder eleganter Verwilderung. Das kam hauptsächlich daher, weil er als einziger seiner Spießgesellen glatt barbiert war, und zwar frisch und sauber. Gabriel fühlte es kalt werden und setzte sich auf. Er reichte dem Kerl eine Zigarette hin. Kilikian nahm sie wortlos, zog irgend eine barbarische Feuervorrichtung aus der Tasche, schlug Funken, die nach vielen vergeblichen Versuchen endlich einen Wergstreifen in Brand setzten, und begann so blasiert zu rauchen, als sei die kostbare Marke Bagradians sein alltäglicher Tabak. Jetzt schwiegen beide sich an, Gabriel mit wachsendem Unbehagen. Der Russe wandte seinen toten und doch verächtlichen Blick nicht von Bagradians weißen Händen, bis dieser es nicht länger aushielt und ihn anherrschte:
    »Nun, was willst du von mir?«
    Sarkis Kilikian stieß einen starken Rauchstrahl aus, veränderte aber seine Miene um keinen Schatten. Das Lästigste war, daß er noch immer nicht die Augen von Gabriels Händen abwandte. Er schien sich in tiefsinnige Betrachtungen über eine Welt zu verlieren, in der es so weiche und unversehrte Hände gab. Endlich öffnete er den lippenlosen Mund über schlechten, schwärzlichen Zähnen. Seine tiefe Stimme klang weniger haßerfüllt als seine Worte:
    »Keine Sache für so feine Herren …«
    Bagradian sprang auf. Er wollte eine starke Antwort finden. Zu seinem tiefen Unbehagen fand er aber überhaupt keine. Ihm langsam den Rücken kehrend sprach der Russe mehr zu sich selbst, in keinem übelklingenden Französisch:
    »On verra ce qu’on pourra durer.«
    Als man dann um die Lagerfeuer saß, erkundigte sich Gabriel bei den verschiedensten Männern nach Sarkis Kilikian. Dieser war seit vier Monaten schon im ganzen Umkreis des Musa Dagh wohlbekannt. Er gehörte nicht zu den ortsansässigen Deserteuren und doch machten die Saptiehs auf ihn namentlich Jagd. Von Schatakhian erfuhr Gabriel die Lebensgeschichte des Russen im Zusammenhang. Da die Lehrerschaft der sieben Dörfer sich im allgemeinen durch eine lebhafte Phantasie auszeichnete, so hätte Bagradian fast geargwöhnt, für Schatakhian sei des Grauens nicht genug und er füge diesem echt armenischen Schicksal noch aus freier Willkür einige Schreckenszüge bei. Aber Tschausch Nurhan saß daneben und nickte ernsthaft zustimmend zu jeder Einzelheit. Tschausch Nurhan war als Gönner der Deserteure und als Kenner ihrer Lebenswege verschrien. Was aber die Phantasie anbelangt, hatte man bei ihm nichts zu argwöhnen.
     
    Sarkis Kilikian war in Dört Yol, einem großen Dorfe in der Issusebene nördlich von Alexandrette geboren. Ehe er noch sein elftes Lebensjahr vollendet hatte, brachen in Anatolien und Cilicien die klassischen Metzeleien Abdul Hamids aus, und zwar wie ein wolkenloses Gewitter von einem Augenblick zum andern. Kilikians Vater war Uhrmacher und Goldschmied, ein kleiner, stiller Mann, der in seinen Verhältnissen auf feine Lebensart und gute Erziehung der fünf Kinder viel Wert legte. Da er ein hübsches Vermögen besaß, sollte Sarkis, der Älteste, an eines der Priesterseminare gesandt werden, um zu studieren. An jenem schwarzen Tage von Dört Yol sperrte Uhrmacher

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