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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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eingezeichnet hatte, mußten nun in Wirklichkeit umgesetzt werden. Da es auf dem Damlajik zurzeit mehr Hände als Grabscheite, Krampen und Spaten gab, wurde die Arbeit in zwei Schichten geleistet, die einander in ihrer Beschäftigung ablösten. Als eigentliches Arbeitsheer war von Bagradian ja die Reserve gedacht, das heißt jene elfhundert Männer und Frauen, die nur in der Stunde des Kampfes ihre Posten zu beziehen hatten, sonst aber im Lager das notwendige Handwerk und den allgemeinen Dienst verrichten sollten. Das Volk aber, das zur Reserve gehörte, befand sich noch in den Dörfern unten.
    Nach Gabriel Bagradians Berechnung gab es dreizehn Einfallspunkte, an denen der Damlajik bedroht war. Die offenste Zugangsstelle lag im Norden, wo jener schmale Einschnitt, den Gabriel als Nordsattel bezeichnete, den Berg von den anderen Teilen des Musa Dagh trennt, die in die Richtung von Beilan verlaufen. Der zweite, obwohl schon weniger gefährdete Ort war der breite Ausstieg der Steineichenschlucht oberhalb Yoghonoluks. Diesem glichen dann die übrigen Gefahrzonen des westlichen Bergrandes im kleineren Maße, und zwar überall dort, wo die steilen Hänge sich sänftigten und Hirten und Herden schmale Naturpfade ausgetreten hatten. Einen Unterschied machte nur der mächtige Felsturm im Süden, die Südbastion der Karte, welche die weiten Steinhalden beherrschte, die aus der Orontes-Ebene in schroffen Stufen und Terrassen zur Höhe stiegen. Unten in der Ebene der Zusammenbruch einer menschlichen Riesenwelt, die römischen Ruinenfelder von Seleucia. Und dieses Steinmeer einer zertrümmerten Gesittung äffte der Berg mit dem Halbrund der gestaffelten Trümmerhalden seiner Südflanke nach. Unter Samuel Awakians Aufsicht wurden nach Bagradians genauer Vorzeichnung nicht nur auf dem Felsturm, sondern auch links und rechts von ihm aus großen Blöcken ein paar ziemlich hohe Mauern errichtet. Der Student wunderte sich, daß man der Deckung wegen so umständliche Wände aufführte. Seine kriegerische Phantasie war in diesen ersten Tagen noch sehr ungelenk und er verstand die Absichten seines Meisters nur selten. Die härteste Arbeit wurde freilich im Norden, an der verwundbarsten Stelle der Verteidigung gefordert. Gabriel Bagradian hatte den langen Graben eingenhändig abgesteckt, der mit all seinen Ausbuchtungen und Winkelzügen mehrere hundert Schritt maß. Im Westen lehnte er sich an das Felsgewirr der Meerseite, wobei dieses mit seinen Barrikaden, Gängen, Schanzen, Kavernen eine labyrinthische Festung bildete. Im Osten sicherte Bagradian den Graben durch vorgeschobene Wachen und Verhaue. Ein günstiger Umstand wars, daß hier der größte Teil der Bodenfläche aus weichem Erdreich bestand. Dennoch aber stießen die Spaten immer wieder auf große Kalk- und Dolomitsteine, wodurch der Fortschritt des Werkes wesentlich gehemmt wurde, so daß kaum zu hoffen stand, daß man für diesen Graben weniger als vier Arbeitstage brauchen würde. Während muskelstarke Männer und auch einige Bäuerinnen die Erde aushoben, legten die Knaben mit Sicheln und Messern an gewissen Stellen das struppige Unterholz des Vorgeländes um, damit das Schußfeld frei werde. Bagradian rührte sich den ganzen Tag von den Arbeitern nicht fort. Immer wieder lief er in die Kerbung und auf die Gegenhöhe des Sattels, um von den verschiedensten Einsichtspunkten den Graben zu begutachten. Er befahl, daß der Erdaufwurf stets wieder dem Boden angeglichen werde. Sein ganzes Augenmerk war darauf gerichtet, daß die breite Rinne vollständig maskiert sei und daß der dicht bewachsene Hang, den sie entlanglief, nirgends durch Menschenhand verletzt erscheine. Bedenkt man, daß außer dem Reservegraben in der nächsten Bodenwelle noch der Ausbau von zwölf kleineren Stellungen vorgesehen war, so könnte jeden Verständigen Bagradians hartnäckige Einseitigkeit mit Sorge erfüllen.
    Pastor Aram Tomasian war auch wegen dieser eigensinnigen Arbeitseinteilung des Befehlshabers ziemlich erbost. Er hatte als Verwalter der inneren Ordnung damit gerechnet, daß auch mit dem Bau der Unterkünfte sogleich begonnen werde. Doch weder der geplante Lazarettschuppen, noch auch die Regierungsbaracke, geschweige denn die Errichtung der Reisighütten für das Volk wurden in Angriff genommen. Einzig am Gerüste des Altars in der Mitte der Stadtmulde hämmerten der Kirchendiener, der Totengräber und ein paar fromme Leute bereits herum. Auch der Rahmen für die hohe, aus Buchsbaumzweigicht

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