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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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besitzen.«
    Der Müdir lächelte. Die Reihe war wieder an ihm, ohne Augenrollen und Brüllen nur durch politische Verschlagenheit ans Ziel zu kommen. Seine Stimme klang wohlwollend nachdenklich, als sei er bereit, den Armeniern eine Brücke zu bauen:
    »Wie lange bist du schon Priester in diesen Ortschaften, verzeih die Frage, Ter Haigasun?«
    Die unbestimmte Liebenswürdigkeit dieser Worte beunruhigte Ter Haigasun. Er entgegnete leise:
    »Im Herbste nach Wartawar, der Weinlese, werden es gerade fünfzehn Jahre sein.«
    »Fünfzehn Jahre? Warte! Da warst du im großen Revolutionsjahr gerade acht Jahre in Yoghonoluk. Nun prüfe dein Gedächtnis! Hast du in diesem Jahr nicht einige Kisten mit Gewehren übernommen, die euch damals zum Kampfe gegen die alte Regierung zur Verfügung gestellt worden sind?«
    Der Müdir, der sein Amt erst seit Kriegsausbruch innehatte, stellte diese Frage aus Intuition oder besser aus der vergleichenden Annahme, in Syrien würde Ittihad dieselben Bundesgenossen gesucht haben wie in Mazedonien und Anatolien. Daß er den gefährlichen Punkt getroffen hatte, wußte er nicht. Ter Haigasun drehte den Kopf nach seinen priesterlichen Gehilfen um, die sich noch immer nicht die Kirchenstufen herabgewagt hatten. Mit dieser flüchtigen Kopfwendung rief er sie zu Zeugen auf:
    »Vielleicht haben eure Priester etwas mit Waffen zu tun, Müdir. Bei uns gibt es diesen Brauch nicht.«
    Der Gemeindeschreiber begann in diese bedrohliche Minute vorwurfsvoll hineinzujammern:
    »Wir haben doch immer in Frieden gelebt und dies ist unser Vaterland seit ewigen Zeiten.«
    Ter Haigasun starrte den Müdir verloren an und schien sein eigenes Gedächtnis wirklich auf eine harte Probe zu stellen:
    »Es ist wahr, Müdir! Die neue Regierung hat damals an verschiedenen Orten des Reiches Gewehre hie und da auch an Armenier verteilt. Wenn du alt genug bist, so wirst du dich jedoch auch erinnern, daß von allen Gemeinden den Überbringern dieser Waffen Empfangsscheine ausgefolgt werden mußten. Der Kaimakam, der zu jener Zeit Müdir war wie du, hat die Waffenverteilung geleitet. Er wird ganz gewiß die Empfangsscheine aufbewahrt haben, denn so wichtige Dinge wirft man nicht fort. Nun, ich glaube, er hätte dich gewiß nicht ohne diesen Empfangsschein zu uns geschickt, wenn es bei uns Gewehre gäbe.«
    Der Einwand Ter Haigasuns war unwiderleglich. Man hatte tatsächlich in den letzten Tagen die Registratur des Hükümets von Antakje wegen dieser Empfangsscheine um und um gewühlt. Es fanden sich solche Bestätigungen aus den meisten Nahijehs, nur die Nahijeh von Suedja und Umgebung schien im Jahre 1908 wirklich keine Waffen gefaßt zu haben. Der Kaimakam behauptete zwar, sich des Gegenteils zu entsinnen, hatte aber keinen Beweis dafür. Mit Gelassenheit traf Ter Haigasun demnach das Richtige. Weil er sich überlegen zeigte, vergiftete er die schöne diplomatische Ruhe des Müdir, der seine Stimme höhnisch verschärfte: »Was ist eine Empfangsbestätigung? Ein Wisch! Was beweist das nach so vielen Jahren?«
    Ter Haigasun machte eine Handbewegung des Gleichmutes:
    »Wenn ihr uns nicht glauben wollt, so seht selber nach und sucht!«
    Der Hauptmann, gewillt, diesem langwierig überflüssigen Hin und Her ein Ende zu machen, ließ seine Polizistentatze auf die Schulter des Priesters niedersausen:
    »Ja, wir werden suchen, du Sohn eines Hundes! Aber ihr zwei seid verhaftet, du und der Muchtar da! Mit euch kann ich machen, was ich will. Euer Leben steht in meinem Belieben. Wenn wir Gewehre finden, so nageln wir euch an die Kirchentüre. Wenn wir keine finden, laß ich euch über einem Feuer aufhängen.«
    Zwei Saptiehs fesselten Ter Haigasun und den Gemeindeschreiber. Der Müdir zog eine kleine Nagelfeile aus der Tasche und begann sich mit seinen kokett verlängerten Fingern zu beschäftigen. Wie eine Geste des Bedauerns über die staatsnotwendige Grausamkeit wirkte diese Nägelreinigung und zugleich wie ein Hinweis darauf, daß er als Zivilbeamter mit der bewaffneten Exekutive nichts zu schaffen habe. Dennoch vergaß er nicht, letztere mit gelangweilter Stimme zu mahnen:
    »Vergeßt die Friefhöfe nicht! Das sind sehr beliebte Verstecke für Gewehre und Patronen.«
    Dann erst wandte er sich zu einem Spaziergang von dannen, alles Weitere dem ungleichäugigen Muafin überlassend. Auf das Kommando dieses Furchtgebietenden stoben die Saptiehs in kleinen Rudeln auseinander. Bei den Verhafteten blieb nur eine kleine Wache zurück. Ter

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