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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Muchtar Kebussjan in dem schwierigsten Augenblick seiner ganzen Amtszeit die Stellvertretung anvertraut. Der unglückliche Pseudo-Muchtar taumelte kreidebleich den Saptiehs in die Arme, die ihn vor ihren Befehlshaber zerrten. Er lallte die Worte Ter Haigasuns nach:
    »Wir haben keine Waffen in den Dörfern.«
    Die bebende Persönlichkeit des vermeintlichen Muchtars kam dem Hauptmann hochwillkommen. Sie überzeugte ihn vorbehaltlos von seiner niederdonnernden Gottähnlichkeit. Er riß einem Gendarmen die Lederpeitsche aus der Hand und durchpfiff mit ihr die Luft:
    »Umso ärger für euch, wenn ihr keine Waffen habt!«
    Hier mischte sich zum erstenmal der rötliche Müdir in das Verfahren. Dem jungen Mann aus Salonik war ungemein viel daran gelegen, diesem christlichen Priester den himmelweiten Abgrund vor Augen zu führen, der seinesgleichen von einem Polizeitölpel aus der dunkelsten Reichsprovinz trennte. Ittihad veranstaltete keine urtümlichen Metzeleien mehr, Ittihad machte feinste Politik, Ittihad verwirklichte mit eisernem Willen unvermeidliche Staatsnotwendigkeiten, wobei Ittihad, soweit das irgend möglich war, unnötige Härten zu vermeiden trachtete. Man war modern gebildet. Man war ein Feind der allzu handgreiflichen Methoden, man legte sogar Wert darauf, »Nerven« zu haben. Infolgedessen warf der Müdir einen kurzen Blick auf das Kunstwerk seiner langen Fingernägel und wandte sich mit jener gefahrgeladenen Freundlichkeit, die alle beamteten Herren über Leben und Tod so trefflich zu gebrauchen wissen, höchst achtungsvoll an Ter Haigasun:
    »Du weißt, was über euch beschlossen ist.«
    Fest und stumm sah ihn der Priester an. Der Müdir wies, durch diesen freien Blick leicht verwirrt, auf die Plakate:
    »Die Regierung hat den Beschluß gefaßt, euch umzusiedeln. Neue Wohnsitze werden euch angewiesen.«
    »Und wo werden uns neue Wohnsitze angewiesen?«
    »Das ist weder meine noch eure Sache. Ich habe euch nur zu sammeln, und ihr habt nur zu marschieren.«
    »Und wann werden wir aufbrechen müssen?«
    »Das hängt allein von eurem Betragen ab, wieviel Zeit ich euch lassen werde, eure Sachen in Ordnung zu bringen und euch genau nach der Vorschrift reisefertig zu machen.«
    Der Gemeindeschreiber, der sich bereits gefaßt hatte, erkundigte sich mit lauernder Demut:
    »Und was werden wir mitnehmen dürfen, Effendi?«
    »Nur das, was jeder auf seinem Rücken und in seiner Hand selbst tragen kann. Alles andere, eure Felder, Gärten, eure Grundstücke, eure Häuser mit allem, was an unbeweglichem und beweglichem Gut dazugehört, verfällt laut Ministerialerlaß vom fünfzehnten Nisan dieses Jahres dem Staate, der euch nach dem Umsiedlungsgesetz vom fünften Mayis neues Land für den abgetretenen Grund zuteilen wird. Jeder Besitzer hat mit Berufung auf sein grundbücherlich festgelegtes Eigentum um den rechtmäßigen Ersatz einzukommen. Das Gesuch muß mit fünf Piastern gestempelt sein. Der Stempel ist beim Gendarmeriekommando erhältlich.«
    Dieses Amtslied kam so mild-melodisch von den Lippen des Rothaarigen, als handle es sich um eine Verordnung über Obstbau. Wohlwollend hob der Müdir den Zeigefinger:
    »Es ist am besten für euch, wenn ihr keine Geschichten macht, nichts zerstört und vernichtet, sondern alles in seiner bisherigen Ordnung dem Staate übergebt.«
    Ter Haigasun öffnete die Hände und hielt sie dem diplomatischen jungen Mann aus Salonik hin:
    »Wir wollen nichts behalten, Müdir. Was könnte es uns auch helfen? Nehmt alles, was ihr findet. Die Tore stehen offen.«
    Den Polizeihauptmann reizte der glatte Ton des Müdirs, der ihm die Führung entwand. Schließlich war einzig und allein er der Befehlshaber der Austreibung und der Federfuchser nur eine Begleitperson, die der Kaimakam entsandt hatte. Wenn er diesem sanftmäuligen Kanzleibewohner noch länger das Wort überließ, würde ihm kein Mensch mehr glauben, daß er der Polizeigewaltige der Stadt Antakje sei. Er riß daher sein starres Auge noch weiter auf, ließ es blutunterlaufen büffelhaft glotzen, machte zwei lange Schritte auf Ter Haigasun zu und packte ihn bei seiner reichgestickten Stola:
    »Du wirst jetzt sechshundert Gewehre zusammenbringen und hier vor mir niederlegen!!«
    Ter Haigasun sah lange auf die Erde, dorthin, wo er die Waffen niederlegen sollte, dann trat er jählings mit einem kräftigen Ruck zurück, so daß der Hauptmann fast gestürzt wäre:
    »Ich habe dir schon gesagt, daß wir keine Gewehre in den Dörfern

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