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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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kurzlodernden Fanatismus des Religionshasses in den kalten langbrennenden Fanatismus des Nationalhasses geschickt zu verkehren wußte.
    Die Austreibungsmannschaft wurde vom Muafin, dem Polizeihauptmann von Antiochia befehligt. Der junge Müdir mit den wimperlosen rötlichen Augen und den Sommersprossen auf Gesicht und Händen begleitete sie. Um die Mittagszeit rückte das Aufgebot, von Kundschaftern längst gemeldet, auf dem Kirchplatz von Yoghonoluk ein. Die scharfen türkischen Trompeten-Signale stiegen auf und die Trommeln wurden gerührt. Doch trotz dieser herrischen Mahnungen blieben die Armenier in ihren Häusern. Ter Haigasun hatte jedermann in den sieben Dörfern einschärfen lassen, sich so wenig wie möglich zu zeigen, alle Ansammlungen zu vermeiden und ja nicht in die Falle irgendwelcher Herausforderung zu gehn. Der Müdir verlas vor einem Publikum, das aus den Saptiehs, einigen Mitläufern und den geschlossenen Fenstern des Kirchplatzes bestand, den langen Ausweisungsbefehl, der gleichzeitig in Gestalt mehrerer Plakate an die Kirchenmauer, ans Gemeinde- und Schulhaus angeschlagen wurde. Nach diesem Staatsakt lagerten sich die Saptiehs, da es Essenzeit war, auf dem Erdboden, machten Feuer und begannen, ihren Kessel mit Fuhl, Saubohnen in Hammelfett, zu wärmen. Während sie dann mit Brotfladen ihr Teil aus dem Sud schöpften und kauend dahockten, schauten sie träge im Kreis umher. Was für hübsche Häuser! Und alle aus Stein gebaut, mit festen Dächern und holzgeschnitzten Veranden! Reiche Leute, diese Armenier, überall reiche Leute! Zu Hause, in den eigenen Dörfern ist man schon froh, wenn die altersschwachen Holzhütten unter der Last des Storchennestes nicht einstürzen. Und die Kirche dieser unreinen Schweine ist dick und überheblich wie eine Festung, mit all ihren Kanten, Winkeln und Vorsprüngen. Nun Allah ist ja eben dabei, ihnen etwas von ihrem Übermut abzuhandeln. In allen Dingen haben sie ihre Hände gehabt, sie haben in Stambul geherrscht, sie haben das Geld ernteweise gescheffelt. Man hatte sich alles gefallen lassen, bis endlich die schläfrigste Geduld riß. Auch der Müdir und der Muafin staunten wieder einmal über die Stattlichkeit dieses Dorfplatzes. Vielleicht erfüllte den Polizeihauptmann einen Lidschlag lang die Unsicherheit eines Barbaren, der einer überlegenen Kultur gegenübersteht. Dann aber mochte mit verdoppeltem Haß das berühmte Wort Talaat Beys in ihm aufkochen, das der Kaimakam gestern bei der Abfertigung erwähnt hatte: »Entweder sie verschwinden oder wir.«
    Unheimlich war die Stille, die trotz der vielen Bewaffneten auf dem Kirchplatz lastete. Und sie wurde durch die Anwesenheit etlicher Zaungäste der Austreibung, die sich den Saptiehs angeschlossen hatten, nicht im geringsten unterbrochen. Die Menschengosse Antakjes und der größeren Ortschaften ringsum hatten ihre Abwässer ins Tal der sieben Dörfer gelenkt. Auf nackten, schmutzstarrenden Füßen kam es geschlichen: Aus Mengulje, Hamblas und Bostan. Aus Tumama, Schahsini, Aïn Jerab und weither sogar aus Beled es Scheikh. Augen voll unbeherrschter Gier zupften an den Häusern. Arabische Bauern aus dem El-Akra-Gebirge im Süden harrten, geruhsam auf ihren Fersen hockend, fetter Ereignisse. Sogar eine kleine Gruppe von Ansarijes hatte sich eingefunden, die niedrigsten Parias des Propheten, volkloses halbarabisches Knechtsgesindel, das nun die seltene Möglichkeit benützte, sich anderen Menschen überlegen zu fühlen. Auch einige Mohadschirs waren bereits zur Stelle, Kriegsflüchtlinge, von der Regierung ins Innere gesandt und freundlichst eingeladen, sich an armenischem Hab und Gut für ihre Verluste schadlos zu halten. Neben dergleichen offenherzigem Volke standen, sehr verwunderlich zu melden, tief verschleierte Frauen scheu und glühend im Kreis. Sie gehörten zweifellos den besseren Ständen an. Auf den ersten Blick sah man das am feinen Stoff der über den Kopf gezogenen Mäntel, am Gewebe der Schleier, an den schmalen Pantoffeln oder Lackhalbschuhen, in die sich die beringten Füße schmiegten. Diese Frauen waren eifrige Kundinnen eines so vorteilhaften Ausverkaufes, den sie mit Ungeduld erwarteten. Schon seit Wochen ging das Gewisper in den Weiberstuben von Suedja und El Eskel: »Ah, wißt ihr es denn nicht? Diese Christen besitzen in ihren Häusern herrliche Sachen, die man bei uns gar nicht kennt oder nur um schweres Geld erstehen kann.« – »Warst du jemals in einem armenischen Haus?« – »Ich

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