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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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nicht! Aber die Frau des Mollah hat mir alles genau beschrieben. Da werdet ihr Schränke und Kommoden finden mit Türmchen darauf und kleinen Säulen und Kronen. Da werdet ihr nur wenig Schlafmatten finden, die man tagsüber wegsperrt, sondern echte Betten mit geschnitzten Blumen und gottverbotenen Kinderköpfchen darauf, Betten für Mann und Frau, so groß wie die Equipage des Wali. Uhren werdet ihr finden, auf ihnen sitzt ein vergoldeter Adler, oder ein schreiender Kuckuck springt aus ihren Eingeweiden.« – »Nun, da habt ihr wieder einen Beweis, daß sie Verräter sind, denn wie hätten sie sonst solches Hausgerät aus Europa bekommen können?« Gerade nach derartigem Hausgerät aber stand den Weibern, die der schönsten Teppiche, Messingschüsseln und kupfernen Kohlenbecken überdrüssig waren, gar mächtig der Sinn.
    Die unheimliche Stille zerplatzte urplötzlich. Der Polizeihauptmann, der schon längst eines Opfers geharrt hatte, warf sich auf einen der Dorfbewohner, der unvorsichtigerweise vor sein Haustor getreten war. Der Mann wurde in die Mitte des Platzes gestoßen. Das Gesicht des Polizeihauptmanns war durch zwei gänzlich verschiedene Augen gekennzeichnet. Das rechte blickte groß und starr, das linke klein und halb zugeschwollen. Der Feldwebelschnurrbart konnte noch so martialisch drohen, das Kinn noch so mörderisch vorstoßen, durch die ungleichen Augen war der Polizeivogt zu furchterregender Lächerlichkeit oder lachenerregender Furchtbarkeit verurteilt. Da er sich dieses Gebrechens ständig bewußt war, übertrieb er aus Angst, lächerlich zu wirken, die fürchterliche Seite seines Wesens und Gewerbes. Aus diesem Grunde mußte er den Rohling, der er von Natur schon war, auch noch spielen. Sein starres Auge versuchte zu rollen, als er den Armenier anbrüllte:
    »Wie heißt euer Priester? Wie heißt euer Muchtar?«
    Der Mann gab flüsternd Auskunft. Im nächsten Augenblick heulte es hundertstimmig über den Platz:
    »He Haigasun! Wo steckst du? Heraus mit dir Kebussjan! He Haigasun und Kebussjan!!«
    Ter Haigasun hatte in der Kirche dieses Zeichen abgewartet. Nach der Messe des heutigen Feiertages war er mit seinen Diakonen kniend am Altar verblieben, ohne die heiligen Gewänder abzulegen. Er wollte den Saptiehs in dem Glanz und in der Erhabenheit seines Amtes entgegentreten. In dieser Absicht verriet sich das Wesen Ter Haigasuns aufs beste. Mit der feierlichen Gebärde verband er einen seelenkennerischen Zweck. Jeden Orientalen erfüllen zeremonielle Aufzüge und religiöse Gewänderpracht mit heiligen Schauern. Ter Haigasun rechnete damit, daß seine Priestererscheinung die Roheit der Saptiehs dämpfen werde. Langsam tauchte er in Gold und Purpur aus dem Kirchenportal. Auf seinem Kopf glänzte die hohe griechische Bischofskrone, in seiner Rechten trug er den Doktorstab des armenischen Ritus. Und wirklich, der hohe Anblick des Wartabeds legte sich auf die Stimme des Polizeihäuptlings, deren menschenfresserisches Bellen unsicher klang:
    »Du bist der Priester! Du wirst mir für alles verantwortlich sein! Für alles! Hast du mich verstanden?«
    Ter Haigasun neigte zur Antwort sein blutloses Gesicht, das in der starken Sonne wie aus einem Stück Ambra geschnitten schien, schweigend auf die Brust. Der Polizeiherr spürte, daß er in Gefahr sei, höflich, das heißt schlapp zu werden. Auch begann das linke verschwollene Auge zu zucken. Diese zwei Tatsachen erfüllten ihn mit wachsender Erbitterung. Es war höchste Zeit, dem Müdir, der Mannschaft, dem Priester seine niederschmetternde Allmacht in Erinnerung zu bringen. Er ging also mit hocherhobenen Fäusten auf Ter Haigasun zu, mußte aber dennoch zu seinem tiefsten Unbehagen in einem schmachvollen Respektabstand haltmachen. Um so mehr fühlte sich seine Stimme verpflichtet, jenen Schreck zu verbreiten, den er als Auswirkung seiner gebietenden Person erwarten durfte:
    »Du wirst alle Waffen abliefern, all eure Waffen! Verstehst du mich?! Wenn du auch wie ein Bazargaukler aussiehst, bist du mir doch für jedes Messer in den Dörfern verantwortlich.«
    »Wir haben in den Dörfern keine Waffen.«
    Ter Haigasun sagte damit die volle Wahrheit sehr ruhig und bestimmt. Inzwischen hatte sich im dunkeln Flur des Muchtarhauses eine kleine Tragikomödie abgespielt, die damit endete, daß der alte Gemeindeschreiber mit dem pfiffigen Spitzbart schwungvoll zum Tor hinausflog, das sich schnell hinter ihm schloß. Auf diese unsanfte Weise wurde ihm nämlich von

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