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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Haigasun wurde gezwungen, sich in seinem starren Seidenornat auf dem Lehmboden des Platzes niederzulassen. Indessen stürmten die Saptiehs mit wüsten Rufen in die Häuser ringsum. Sofort erhob sich hinter den Mauern ein rauhes Gepolter, Gekreisch und Klirren. Fenster flogen auf, und aus ihnen sausten Teppiche, Decken, Kissen, Matten, Strohstühle, Heiligenbilder und hundert andre Habseligkeiten herab, um die sich der schlachtenbummelnde Auswurf quäkend zu balgen begann. Zerbrechlichere Dinge folgten, Spiegel, Petroleumlampen, Lampenschirme, Krüge, Vasen, Geschirr, das unter den Wehrufen der gierigen Kundinnen unten zerscherbte. Sie lasen aber auch noch die Scherben auf und sammelten sie in ihren Tscharschaffs. Langsam umwanderte der Lärm und die Verwüstung den Kirchplatz, dann erst zog er sich die lange Ortsstraße hinan. Drei schreckliche Stunden hockten die Gefesselten auf der Erde, ehe die Saptiehs von ihrem Kriegszug zurückkehrten. Die Beute war mehr als kläglich: Zwei alte Sattel-Pistolen, fünf rostige Säbel und siebenunddreißig Dolchmesser, die eigentlich nur Garten-Rebmesser und größere Taschenfeitel waren. Den Friedhof freilich hatten die Saptiehs aus Mangel an Geräten und aus Arbeitsscheu nicht entweiht. Der Polizeiherr raste. Dieses Schwein von einem verschlagenen Priester hatte ihn um einen waffenstrotzenden Rapport geprellt. Welch eine Schmach für die Polizei von Antakje! Ter Haigasun wurde emporgerissen. Das starre und das dickverschwollene Auge drangen auf ihn ein. Die Atemwelle, die ihn umkeuchte, stank nach Haß und schlecht verdautem Hammelfett. Er wandte sich mit einer Grimasse des Ekels ab. Im nächsten Augenblick aber erhielt er mit dem harten Knauf der Lederpeitsche zwei Schläge mitten ins Gesicht. Der Priester verlor für einige Sekunden die Besinnung, schwankte, erwachte, staunte, wartete auf den Blutstrom. Endlich brach es hervor, das Blut, aus Nase und Mund. Ein seltsames, ja ein seliges Gefühl entfaltete sich in ihm, während er sich weit vornüberbeugte, damit sein geringes Blut nicht Christi Priesterkleid beflecke. Wie eine ferne Engelstimme sang es in seinem Hirn: Dieses Blut ist gut.
    Und dieses Blut war gut, da es auf den jungen Müdir aus Salonik, der von seiner Siesta eben heimgekehrt war, einen gewissen Eindruck nicht verfehlte. Er war ein eifriger Befürworter der Ausrottung, ohne das Bedürfnis zu haben, ihr Augenzeuge zu sein. Ittihad besaß in dem Müdir bei weitem nicht die härteste Seele. Er legte sich ins Mittel, wenn er es auch vermied, irgend eine Weichlichkeit zu zeigen. Die Zeit dränge. Man habe noch in sechs andern Ortschaften amtszuwalten. Da auch der Geltungsdrang und Machtbeweisungstrieb des Muafin durch die Züchtigung Ter Haigasuns vollauf befriedigt war, winkte er großartig. Der Priester und der Schreiber wurden von ihren Fesseln befreit. Sie durften nach Hause gehen.
    Der Tag verlief für Yoghonoluk glimpflich genug, glimpflicher, als derartige Tage in den meisten Städten und Dörfern des armenischen Volkes zu verlaufen pflegten. Nicht mehr als zwei Männer, die sich bei der Haussuchung widersetzten, wurden getötet, und zwei junge Frauen von den Saptiehs vergewaltigt.
     
    Volle vierundzwanzig Stunden mußte Gabriel Bagradian warten, bis die Reihe an ihn und sein Haus kam. Wiederum saßen sie alle die ganze Nacht hindurch wach. Es war, als ob es keinen Schlaf mehr gebe. Die Erschöpfung durchdrang die Glieder wie eine weiche Masse, die an der Luft langsam erstarrt. Das Knie zu biegen, die Hand zu heben, den Kopf zu wenden, dies alles kostete einen schier unerschwinglichen Willensaufwand. Dabei mußte man diese Erschöpfung noch preisen, denn sie entrückte die Wirklichkeit und schob zwischen die Welt und ihre Qual eine gute Nebelwand. Am wohltätigsten hüllte sie Juliette ein. Sie, die Lebensfreudige, die noch vor wenigen Tagen in ihren Rosen und Seidengeweben geschwelgt hatte, sie, die Überlegene, die von ihrer französischen Höhe auf die Rasse ihres Gatten verächtlich hinabsah, sie, die Leichtsinnige, die es nicht für möglich hielt, daß sie in die Haßverstrickung von Halbwilden ernsthaft hineingezogen werden könnte, sie, Juliette, war nun von einem Keulenschlag betäubt. Ihre sonst so klaren Augen schauten wässerig aus dem schlaffen Gesicht. Das Haar war ausgetrocknet und in übernächtigter Unordnung. Sie trug dasselbe zerdrückte Reisekleid wie am Tage der Zeltprobe. Wie ein lästiger Körperschmerz, der unablässig geht und

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