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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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weit es nur ging, ausgedehnt. Morgen schon, wenn Arbeitskräfte und Werkzeuge in den Schanzwerken freigeworden waren, sollte Vater Tomasian nach einem Stadtplan Arams mit dem Bau der Laubhütten beginnen. Da es ungefähr tausend Familien auf dem Damlajik gab, waren auch tausend Wohnstätten vorgesehen, deren Größe von der Kopfzahl der Familie abhing. Holz und Zweigicht war in Überfülle vorhanden. Gabriel Bagradian hatte gestattet, daß ein Teil der Reserve schon am heutigen Tage die Bäume für die Siedlung fällen dürfe.
    Große Schwierigkeiten, doch die größte begann bei Brot und Mehl. Hier blieb Ter Haigasun angesichts der beklemmenden Sparnotwendigkeit unerbittlich. Alles, was die einzelnen Familien an Feldfrucht noch besaßen, Weizen, Bulgur, Mais, Kartoffeln sowie alles, was sie in ihren Backtrögen gebacken und auf den Berg geschleppt hatten, mußte abgeliefert werden, ohne Pardon. Von diesem allgemeinen Vorrat sollte jede Familie bei der Fleischausgabe am Vormittag nur eine kleine Ration mitbekommen. Doch nicht allein das Mehl wurde dem freien Genuß entzogen, auch das Salz, der Kaffee, Tabak, Reis, Gewürz und alles sonstwie Kostbare, das die Sippen mit großer Mühe und weiser Berechnung heraufgeschafft hatten. Der Widerstand gegen diesen harten Beschluß währte stundenlang. Endlich drangen Aram Tomasian und die Muchtars mit Beschwörungen und Flüchen soweit durch, daß einige der tugendhafteren Familienväter mit ihrem Brot und Mehl, mit ihrem Kaffee und Tabak sich zögernd auf den Depotplatz begaben, wo das eingezogene Volksgut aufgeschichtet, geordnet und gebucht werden sollte. Diesen opferbereiten Helden folgten andre, und nach und nach die meisten, von Scham getrieben, denn auf den offenen Lagerstätten ließ sich das zurückbehaltene Eigentum nicht verheimlichen. Die Mehl- und Maissäcke häuften sich nebeneinander. Vater Tomasian bekam den Auftrag, schon in der ersten Frühe des nächsten Tages diese Vorratstätte durch eine Speicherscheune vor dem Wetter zu schützen. Der Depotplatz bekam sogleich eine Wache von fünf Bewaffneten. Ter Haigasun bestimmte für diesen Dienst fünf Männer aus den ärmsten Dorffamilien. Nachdem all diese schwerwiegenden Fragen für den Augenblick geregelt waren, spürte der Priester, daß er die bedrückten und verstimmten Seelen des Lagervolkes aufrichten müsse. Er stellte daher nicht nur den baldigen Bau einer größeren Anzahl von Tonirs in Aussicht, sondern warf auch das Wort Harisa in die Menge, das seine beruhigende Wirkung nicht verfehlte.
    Harisa heißt eine Nationalspeise der Armenier schon seit undenklichen Zeiten. Wie alles Uralte, dem Gedächtnis der Generationen Entwachsene, ist auch diese Speise und ihre Zubereitung von einem Hauch des Religiösen und Feierlichen umwittert. Dies war auch der Grund, warum die bloße Erwähnung eines Harisa-Festes in dem verdüsterten Volke Traulichkeit verbreitete. Dabei bestand die Speise, gleich allen Abwandlungen der menschlichen Küche, nur aus wenigen und einfachen Bestandteilen, aus kleinen Lammfleischwürfeln, aus Fett, aus gehackten Knorpeln und Gorgod, grobgeschälten Weizengraupen, die dem Ganzen beigemischt waren. Doch die Materie war nicht das Wichtigste, handelte es sich doch bei Harisa um eine Festspeise, die im September die vielfältigen Erntewochen von Gal, dem Dreschfest, bis Wartawar, der Weinlese, alljährlich belohnte. Ter Haigasun sorgte also trotz Verschickung und Flucht dafür, daß sein Volk auch auf dem Damlajik nicht um eine der wenigen Lebensfreuden kommen sollte, die es besaß. Die Harisa-Freude lag aber nicht nur im Essen, sondern weilt mehr noch in der Zeremonie der langwierigen Zubereitung. In den Tonirs mußte die ganze Nacht über ein mäßiges Feuer unterhalten werden, auf dem die Mischung langsam kochte. Am Morgen war dann das Wasser im Topfe verdunstet und nur mehr eine fest zusammengewachsene Masse blieb übrig. Jetzt aber begann erst das Vergnügen der Jugend. Lang vor der üblichen Zeit erhoben sich im Hause die jungen Burschen und Mädchen, um mit dem Klappstock Tontotz, der in jedem Gerätewinkel aufbewahrt wird, Harisa zu schlagen, denn die Masse mußte erst zurecht geprügelt werden, wie in anderen Ländern der getrocknete Stockfisch. Dies alles war nur ein kleiner, blasser Teil der altberühmten und überlieferten Lustbarkeiten, die mit dem Harisa-Fest im Zusammenhang standen. Dank Ter Haigasuns Versprechungen hatte das Volk des Musa Dagh trotz allem ein solches Fest zu

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