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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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Angesichts der Katastrophe gaben sie den Kampf auf. Naß bis auf die vom Hagelschlag gepeitschte Haut setzten sie sich auf den morastigen Boden, gleichgültig gegen den Wolkenbruch, der sie mit fingerdicken Strähnen traf. Nicht einmal die Frauen weinten und jammerten mehr. Stumm hüllte sich jeder in brütende Einsamkeit, einen unaussprechlichen Groll gegen Ter Haigasun und den Führerrat im Herzen hütend, die das Depot und den gottverfluchten Ablieferungsbefehl auf dem Gewissen hatten. Nichts erleichtert im Mißgeschick das menschliche Herz so wohltätig wie der Trieb, bestimmte Personen auch für ein elementares Unheil schuldig zu sprechen und mit Vorwürfen zu überhäufen. Auch das zürnende Volk des Damlajik bedachte erst viel später, daß jene von Ter Haigasun verfügte Ablieferung von Brot und Mehl mit dessen Untergang nichts zu schaffen hatte, da dieses im Privatbesitz ebenso wenig wäre zu retten gewesen. In den Augen der Bauern aber schien sich der Himmel mit unerbittlicher Strafhärte gegen die Gemeinschaftsordnung und für das Einzeleigentum entschieden zu haben. Die bekehrten Muchtars mit dem schielenden Thomas Kebussjan an der Spitze fielen auch sogleich um und mischten ihre Knurrstimmen unter die Vorwürfe, Anklagen und Flüche, die auf den Priester einstürmten. Ter Haigasun hielt den wilden Anfeindungen mit gesenktem Haupte im abklingenden Regen stand, während ihm die Kutte am Leibe klebte und das Wasser aus dem Barte rann. Brot und Mehl waren für immer vernichtet. Der Priester konnte mit der entsetzlichen Frage nicht fertig werden, warum Gott die menschliche Vorausberechnung von Unschuldig-Verfolgten binnen zehn Minuten zuschanden gemacht hatte? Und dies, bevor noch der erste Tag des Musa Dagh zu Ende gegangen war. Eine einzige Persönlichkeit hatte sich gegen den Sturmangriff von oben mit energischer Umsicht zur Wehr gesetzt und ihr Brot verteidigt, das freilich geistiges Brot war. Die ersten Windstöße raubten dem alten Krikor sogleich ein paar Bände. Er aber war klug, ließ diese Opfer fahren und warf sich mit seinem ganzen Gewicht quer über die Mauer, die er aus Bücherziegeln errichtet hatte, sie mit Händen und Füßen umklammernd. Trotz dieser Zwangslage war der Apotheker geistesgegenwärtig genug, zwei Zeltbahnen und eine Decke herauszuzerren und damit den größten Teil seines Schatzes trocken zu halten, bis ihn sein tauber Hausknecht erlöste. Noch bis zum letzten Schein der Dämmerung sah man ihn dann, wie er mit unbewegter Mandarinenwürde die sturmentführten Bücher hinter jedem Strauch und Stein hervorsuchte, bis er sie alle gerettet hatte.
    Die Sonne ging in farbig zerrissenen Himmelsgebirgen unter, die von nichts mehr wußten. Nur die Vögel lärmten wieder bis zum letzten Lichtaugenblick, als hätten sie etwas nachzuholen. Die Menschen waren überaus still geworden. Männer, Weiber und Kinder liefen halbnackt durcheinander. Die Hausfrauen spannten Hanfstricke zwischen den Bäumen und hängten das ganz und gar durchnäßte Zeug zum Trocknen auf. Nun wollte sich keiner mehr auf den Erdboden niederlassen. Doch ehe noch der Mond kam, hatte die durstige Sommererde die letzte Feuchtigkeit bereits in ihre Tiefen eingesaugt. Die Lagerfeuer aber wollten trotzdem nicht auflodern, denn an Holz und Reisig hing noch immer der dicke Regen. Die einzelnen Familien hockten dicht beisammen und kehrten den Nachbarsippen verstimmt und boshaft den Rücken zu. Später schliefen sie ohne Matten, Matratzen, Decken und Kissen, die bis zum nächsten Abend kaum trocken sein konnten, auf der nackten Erde ein. Die Menschen lagen zu einem Knäuel verwickelt, denn ein Körper wollte im Unglück den andern berühren, eine Trauer sich der andern versichern. Die Mannschaften des ersten Treffens schliefen in den Stellungen draußen, nachdem sie das Wasser aus den kaum fertig gebrachten Gräben hatten schöpfen müssen. Auch Gabriel ließ sich seine Matratze und seine Decken in die Nordstellung hinaustragen. So erschöpft er war, sein Entschluß stand fest, nicht um ein Haar anders und besser zu leben als seine Kämpfer. Juliette hatte er heute nur einen Augenblick lang gesehen. Gabriel Bagradian schlief als letzter ein. Dann hatten nur mehr die Wachen die Augen offen, je zwei und zwei auf jeder Schanze der Verteidigungsabschnitte. Eine Stunde vor Mitternacht ging über die scharfen Zacken des Amanus ein wunderbarer Sternschnuppenfall nieder. Himmlische Eidechsen und Schlangen tollten in zuckenden Bahnen

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