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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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kindlichen Bildchen besaßen einen gewissen Reiz. Sie erinnerten mit ihren gezierten Figuren, mit ihren schief schmachtenden Gesichtern, mit ihren blumigen Umrankungen an mittelalterliche Evangelienbücher. Der Charakter der Abbildungen war aber alles andre als freundlich fromm. Der armenische Maler hatte sich, der gepeinigten Volksseele entsprechend, mehr für die krassen, pathetischen oder kopfhängerischen Gegenstände entschieden, zumal was das Alte Testament anbetraf: Die Vertreibung aus dem Paradiese! Das lodernde Schwert war ein Krummsäbel und der Erzengel trug eine Glorie, die einem diamantgeschmückten Turban ähnelte. Oder, Kain erschlägt den Abel! Das niederschwelende Feuer des verschmähten Altars ergab eine kriecherisch-satanische Randleiste. Als Gabriel Bagradian gerade die Opferung Isaaks betrachten wollte, krepierte das erste Türken-Schrapnell ein paar hundert Meter südlich der Stadtmulde, unterhalb der ersten Gipfelkuppe des Damlajik. In langen Sprüngen stürzte er davon. Auf dem Wege begegnete ihm Doktor Altouni auf einem Reitesel. Der Alte mußte absteigen. Bagradian mißhandelte das Tier mit Stock und Absätzen, so daß es den Reiter in ungewohntem Galopp in die Nordstellung brachte.
     
    Die Türken hatten diesmal ihren Schlag feldmäßiger und listiger vorbereitet. Der Bimbaschi-Militärkommandant von Antiochia, jener freundliche alte Herr mit den schläfrigen Äuglein und roten Kinderwangen, führte den Kriegszug in eigener Person. Sonderbarerweise hatte sein Stellvertreter, der scharfe Jüs-Baschi, gerade in diesem Zeitpunkt einen kurzen Urlaub genommen und war nach Aleppo gereist, so daß er außerhalb jeder Verantwortung stand. Da des Bimbaschi ebenso geruhsame wie kluge Mäßigung sich im Rate gegen den Kaimakam und den Major nicht hatte durchsetzen können, blieb ihm nichts anderes übrig, als den Feldzug gegen den Musa Dagh mit größter Beschleunigung zu rüsten. Der Ärger und die Erbitterung über seine Feinde gaben den Entschlüssen und Vorbereitungen des gemächlichen Mannes einen unerwartet tatkräftigen Schwung. Er verbrachte beinahe einen ganzen Tag im Telegraphenamt von Antakje. Der Morseapparat spielte in die drei Richtungen von Alexandrette, Aleppo und Eskereh, um alle kleinen Ortsbesatzungen des Militärs und der Gendarmerie, die innerhalb der Bezirksgrenzen stationiert waren, auf die Beine zu bringen. Binnen viermal vierundzwanzig Stunden hatte der alte Oberst eine beträchtliche Streitmacht von etwa tausend Gewehren und zwei Geschützen zusammengetrommelt. Sie bestand aus den zwei regulären Kompagnien, die in Antakje disloziert waren, aus zwei Zügen desselben Regimentes, die aus den kleinen Ortschaften kamen, aus jener Halbbatterie, die im Laufe dieser Tage in der Garnison eingetroffen war, ferner aus einer ganzen Kompagnie Saptiehs und schließlich aus einer großen Freischar von irregulären Tschettehs aus dem Gebirge bei Hammam. Gleichzeitig hatten Kundschafter die Stellungen des Damlajik, wenn auch nicht ganz zuverlässig, so doch zum Teil ausgeforscht. Der Aberglaube an die zwanzigtausend Armenier und ihre Maschinengewehre war in nichts zusammengebrochen. Dem Bimbaschi stand, was Mannschaft und Bewaffnung anlangt, eine derartige Übermacht zur Verfügung, daß die Liquidation des Armenierlagers nur eine Frage von Stunden sein konnte. Die Taktik hatte in einem völlig gedeckten Aufmarsch und in einem überfallartigen Zugriff zu bestehen, dies war das Wichtigste. Beides, der gedeckte Aufmarsch und die Überraschung, gelangen dem Bimbaschi vortrefflich. Sämtliche Beobachter auf dem Musa Dagh wurden getäuscht. Der Oberst hatte seine Armee in zwei ungefähr gleichwertige Einheiten geteilt, die unabhängig voneinander operieren sollten. Die eine Hälfte marschierte in der Nacht des dreizehnten August unter den schärfsten Vorsichtsmaßregeln gegen den Flecken Suedja und lagerte sich, wohlverteilt und verborgen in den Ruinen von Seleucia, unterhalb der Südbastion. Das andere Korps hingegen, bei dem sich der Kommandant und die Artillerie befand, zog ein Stück der Straße Antakje–Beilan in nordwestlicher Richtung entlang und wandte sich dann auf schlechten Maultierwegen ins Gebirge. Hiebei erhielt der Kriegsplan des Bimbaschi das erste Loch. Die schweren Feldhaubitzen kamen kaum vorwärts, obgleich je zwei Männer unablässig in den Speichen jedes Rades lagen und andere den schweren Sporn der abgeprotzten Geschütze die fünfzehn Meilen des sauren Bergweges mit

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