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Die vierzig Tage des Musa Dagh

Die vierzig Tage des Musa Dagh

Titel: Die vierzig Tage des Musa Dagh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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noch immer. Andre erwachten, griffen zu ihren Gewehren und blinzelten in das lautlos huschende Bild vor ihnen. In dieser Se kunde blähte sich das Goldlicht der Abendsonne auf und zerplatzte in hunderttausend blendende Splitter und Sprengstücke. Die Halbmonde auf den Pudelmützen der Offiziere blitzten grell. Erstaunlicherweise trugen sie während dieses Kriegszuges keine Feldkappen. Die von dem prahlenden Katzengold der späten Sonne benommenen Armeniersöhne legten die Gewehre auf und starrten, befehlsgewärtig, Kilikian an. Und jetzt geschah das ganz Unerklärliche. Anstatt, wie er es bisher getan hatte, ruhig das Zielaviso zu geben, die Distanz für den Rahmenaufsatz zu bestimmen und seine Pfeife an die Lippen zu setzen, stieg der Russe mit nachdenklicher Langsamkeit aus dem Graben. Diese Bewegung pflanzte sich wie ein Befehl unter den Zehnerschaften fort. Teils aus müder Verwirrung, teils aus Vertrauen in die unbekannte Absicht des Führers, schwang sich ein Mann nach dem anderen über den Grabenrand. Die Türken, die sich schon bis auf fünfzig Schritte herangepirscht hatten, stutzten, warfen sich nieder. Das Herz blieb ihnen stehen. Sie erwarteten einen wütenden Gegenangriff. Doch Sarkis Kilikian stand ruhig vor dem Mittelgraben, ohne vorwärts-, ohne zurückzugehen, ohne ein Befehlswort zu rufen, ohne ein Zeichen zu geben, die Hände in den Taschen vergraben. Ehe die unglücklichen Verteidiger noch zur Besinnung kommen konnten, brüllte einer der Offiziere unten ein langnachhallendes Kommando und aus dreihundert Mausergewehren knatterte ein grauenhaftes Schnellfeuer gegen die erstarrten Zielpuppen oben, die sich schwarz vom lichttrunkenen Himmel des Untergangs abhoben. Binnen wenigen Atemzügen krümmte sich ein Drittel der Besatzung des Abschnitts schreiend und ächzend auf der blutigen Erde des Musa Dagh. Sarkis Kilikian stand noch immer nachdenklich erstaunt da, die Hände in den Taschen vergraben. Das türkische Blei schien ihm auszuweichen, als wäre ein Abschluß dieses einzigartigen Schicksals in offener Feldschlacht viel zu simpel und stillos. Als er dann die Hand erhob und seinen Kämpfern irgend etwas zuschrie, war es längst schon zu spät. Er wurde von der allgemeinen Flucht des Besatzungsrestes mitgerissen, die erst mittwegs bei den Steinschanzen zum Stillstand kam. Es waren vier längere trapezförmig abgewinkelte Steinhaufen in nächster Nähe der Stadtmulde. Ehe die Flüchtigen diese Deckung erreichten, ließen sie dreiundzwanzig Tote und Verwundete zurück. Die türkische Infanterie besetzte mit unbeschreiblichem Grölen die verlassenen Gräben. Die Reserve drängte nach, die Saptiehs, die Tschettehs und zuletzt die bewaffneten Dörfler. Auch eine recht erhebliche Anzahl von mutigen Weibern war den Moslems gefolgt. Als diese hinter den Bäumen der Eichenschlucht versteckten Frauen den Erfolg der Ihren sahen, brachen sie wie wahnsinngeschüttelte Mänaden aus dem Wald, faßten einander an den Händen, bildeten eine Kette und aus ihren Kehlen pfiff ein langes eigenartiges Schrillen, Zilgith, der uralte Schlachtruf islamischen Weibervolks. Dieser aufwühlende Schrei befreite den Teufel in den Männern. Sie kümmerten sich, wie ihr kühner Glaube es ihnen eingibt, nicht um Tod und Leben, und stürzten in tollem Lauf auf die dürftigen Steinschanzen zu, ohne einen Schuß mehr abzugeben, mit blankem Bajonett.
    In diesem Unglück kamen den Armeniersöhnen mehrere Glücksfälle zu Hilfe. Als sie sahen, daß die Türken die Verwundeten mit Bajonettstichen durchsiebten und mit ihren Soldatenstiefeln zertraten, breitete sich wieder die ganze Kälte und Wachheit ihres unentrinnbaren Schicksals über sie. Steif lagen sie hinter dem Schotter und zielten ruhig und tödlich wie sonst. Zeitgewinn! Die Türken hatten die letzte überschwengliche Sonne im Gesicht, sie aber im Rücken. Ein andres Glück im Unglück war die Verwirrung, die dadurch entstand, daß die Angreifer vor den Nachbarabschnitten, ihre eigenen Offiziere überrennend, den Posten verließen und siegestrunken auf die Bresche zuströmten. Daher verließen auch die Verteidiger ihre Gräben und drängten von rechts und links der Unheilstelle entgegen. Die Folge war ein Nahkampf und Durcheinander, in dem Freund und Feind (viele Armenier trugen ja erbeutete Türkenuniformen) unkenntlich durcheinander geschüttelt wurde. Überall dröhnte die Flut in das Loch. Es dauerte blutig lange und viele, viele Männer mußten fallen, ehe die Gegner sich

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